GREEN HOSPITAL

LIEBLINGSFARBE GRÜN


Ein mittelgroßes Krankenhaus verbraucht so viel Energie wie eine deutsche Kleinstadt. Auch Kliniken sind klimarelevant – und die Universitätsmedizin Essen ist keine Ausnahme. Das soll sich jetzt ändern.

TEXT: CAROLIN DIEL

ILLUSTRATION: KATHARINA GSCHWENDTNER

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Die Universitätsmedizin Essen schläft nicht. 24 Stunden, 365 Tage im Jahr werden hier Patienten versorgt. Sie sind angeschlossen an elektrische Medikamentenpumpen, Monitoring-Bildschirme, Beatmungs- oder EKG-Geräte, werden in hochtechnisierte Kernspintomographen geschoben, in vollklimatisierten Operationssälen mithilfe von Robotik operiert und per Ultraschall untersucht. All das braucht Energie – viel davon, rund um die Uhr. „Allein die Universitätsklinik Essen verbraucht jährlich so viel Energie wie 10.000 Einfamilienhäuser“, erklärt Tobias Emler. Runtergerechnet bedeutet das bei den 1.300 Betten des Universitätsklinikums: Ein Patientenbett benötigt in einem Jahr die gleiche Menge an Energie wie acht deutsche Durchschnittsfamilien. Dazu kommen 8,5 Tonnen Abfall täglich. Umweltbelastungen, die zum Handeln zwingen. Die Universitätsmedizin Essen soll daher grüner werden – unter der Leitung von Tobias Emler, mithilfe einer neuen, interdisziplinären Arbeitsgruppe und mit dem Einsatz aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

Tobias Emler sieht nicht aus wie ein Öko, eher wie ein klassischer Betriebswirt: ordentlich kurz rasierte Haare, dunkle Vollrandbrille, über dem Hemd ein Pullover in gedeckter Farbe. In seinem privaten Zahnputzbecher allerdings steht eine Holzzahnbürste, er verzichtet soweit es geht auf Plastik und das Fortbewegungsmittel seiner Wahl ist das Fahrrad. Seit September 2020 ist er Klimamanager der Universitätsmedizin Essen – aus Überzeugung. „Unsere natürliche Lebensgrundlage lässt sich nur sichern, wenn wir nachhaltig denken und handeln. Da reicht es nicht, wenn wir alle zu Hause Müll trennen, wir müssen auch bei den großen Institutionen ansetzen”, so der 32-Jährige. Doch er weiß, ein einzelner Klimamanager reicht nicht, um etwas zu bewegen.

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Klimabeauftragte aus verschiedenen Bereichen hat die UME ernannt

Klimaschutz ist Teamarbeit

Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe soll daher künftig das Thema Nachhaltigkeit an der UME managen: Team Green. Neben Tobias Emler umfasst es dreizehn weitere Kolleginnen und Kollegen – Entscheidungsträger aus wichtigen Schnittstellenabteilungen, vom Dezernat Bau und Technik bis zur Konzernkommunikation. Gemeinsam plant das Team – mit den über 130 zusätzlich in allen Bereichen der UME benannten Nachhaltigkeitsbeauftragten – Projekte und sammelt Ideen, wie man die UME nachhaltiger machen kann. Es ist eine Mammutaufgabe, denn Baustellen gibt es genug: von der Mülltrennung bis zu Mehrwegbehältern in der Kantine. Doch wo anfangen? Das gilt es erstmal herauszuarbeiten: Strukturen schaffen, Ziele definieren und dann Schritt für Schritt konkrete Maßnahmen umsetzen. Emler: „Ein Anfang ist dank der maximalen Unterstützung des Vorstands schon gemacht. Aber wir werden nicht in einem Jahr zum ‚grünen Krankenhaus‘. Das braucht Zeit.“

UME-Klimamanager Tobias Emler über den Weg der Universitätsmedizin zum „Green Hospital“.

Andrea Raida kennt dieses Problem. Die gelernte Betriebswirtin forscht am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund zum Thema grüne Krankenhauslogistik und hat schon einige Kliniken auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit begleitet. Die größte Baustelle, sagt Raida, sei die Infrastruktur und alles, was damit zusammenhängt: das Gebäude, die Energieversorgung, die Wärmedämmung. „Aber man kann natürlich ein Krankenhaus nicht mal eben komplett umbauen“, so die Forscherin. Zudem stießen viele dieser großen, infrastrukturellen Veränderungen bei Krankenhäusern an Grenzen. Raida: „Kliniken müssen einen 24-Stunden-Betrieb gewährleisten. Es können immer Notfälle passieren. Daher muss einfach vieles auf Standby laufen, um direkt einsatzbereit zu sein. Da schlägt Patientenversorgung am Ende immer Nachhaltigkeit.“ Deswegen seien in Krankenhäusern besonders die vermeintlich kleinen grünen Maßnahmen relevant: auffüllbare Glasflaschen nutzen, weniger drucken oder eben Mehrwegbehälter in der Kantine verwenden. Alles Maßnahmen, die vor allem eines fordern: das Umdenken jedes einzelnen Mitarbeiters.

Kleine Schritte, großer Effekt

An der UME will dieses Umdenken besonders die Gleichstellungsbeauftragte und Leitung vom MitarbeiterServiceBüro Sandra Warren fördern. Auch sie sitzt im Team Green und ist hier für Aktionstage und Mitarbeiterprojekte verantwortlich. „Nachhaltigkeit ist genauso ein Querschnittthema wie Chancengleichheit. Hier können wir viele Synergieeffekte schaffen und im Jahresverlauf immer wieder das Thema in unterschiedlichen Facetten aufgreifen, beispielsweise beim Tag der Vielfalt“, sagt Warren. Diese kleineren, kurzfristigen Maßnahmen sollen das Bewusstsein auf das Thema Nachhaltigkeit lenken und dazu animieren, selbst aktiv zu werden. Mitarbeiter können und sollen außerdem eigene Ideen einbringen und austauschen.

„Die Entwicklungen der UME zum Smart Hospital und zum Green Hospital gehen Hand in Hand.“

Tobias Emler, Klimamanager in der UME

Dabei soll besonders die neu eingerichtete Nachhaltigkeits-Homepage helfen: www.nachhaltigkeit.ume.de. Sie gibt einen Überblick über alle Nachhaltigkeitsmaßnahmen und -projekte, die an der UME bereits umgesetzt wurden – und zwar nicht nur den Mitarbeitern, sondern auch Patienten. Warren: „Wenn jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten einen kleinen Beitrag leistet, haben wir schon einen gewaltigen Effekt.“ Viele Kollegen, stellt Warren fest, „brennen“ geradezu für das Thema. Aber es gibt auch andere, bei denen man auf Vorbehalte stoße, erzählt Klimamanager Tobias Emler. Zum Beispiel, da man ungern an altbewährten Strukturen rütteln wolle. „Hier müssen wir transparent und im Dialog die Vorteile und den Nutzen für das Klima und die Nachhaltigkeitsinitiative kommunizieren, um alle mitzunehmen. Das ist mein Job als Klimamanager“, so Emler.

Stefan Neuhaus ist Teil von Team Green, aber er versteht diese Vorbehalte. „Man kann Nachhaltigkeitsprojekte nicht zum Selbstzweck betreiben, sie müssen für das Unternehmen auch finanziell vertretbar sein”, so der stellvertretende Leiter vom Dezernat Bau und Technik. Selbstverständlich werden alle an das Baudezernat herangetragenen Projektideen durch Experten des Dezernates auf ihre Umsetzbarkeit geprüft – auch die nachhaltigen. Photovoltaikanlagen auf den Dächern? Gute Idee, aber leider unrentabel. Ladestationen für E-Autos? Müssten sich aus der Netzkapazität der UME speisen – und die ist schon am Limit. „Wir müssen genau abwägen, wenn es um große, kostenintensive Projekte geht”, erklärt Neuhaus. Was nicht heißt, dass nicht auch solche Projekte umgesetzt werden. Seit Anfang des Jahres zum Beispiel bezieht die Uniklinik Ökostrom. Neuhaus: „Da war klar, das kostet uns mehr, aber das wollen wir investieren.”

Probelauf im Kleinen

Um zu prüfen, ob sich Maßnahmen rechnen, bietet es sich an, sie erst in begrenztem Rahmen zu erproben – zum Beispiel am St. Josef Krankenhaus (SJK) in Werden. „Es ist so gedacht, dass wir an unserem kleineren Haus das ein oder andere Pilotprojekt aufsetzen, und wenn etwas gut läuft, wird es ans Universitätsklinikum und die weiteren Standorte weitergereicht“, erklärt Paul Grossmann, Projektmanager in der Stabstelle Organisation vom SJK und ebenfalls im Team Green. Gerade wird in diesem Sinne eine automatisierte, energiesparende Steuerung der Heizsysteme am SJK getestet. Grossmann sieht im Team Green vor allem die Chance, Nachhaltigkeitsprojekte besser vorantreiben zu können, weil sich Bereiche der UME besser vernetzen und klare Zuständigkeiten verteilt sind. Synergien schaffen Ein wichtiger Aspekt, sagt auch Nachhaltigkeitsexpertin Raida.

„Patientenversorgung schlägt am Ende immer Klimaschutz“

Andrea Raida, Expertin für grüne Krankenhauslogistik

Denn damit grüne Maßnahmen greifen, müsse es Verantwortliche geben, die den Überblick haben. „Sonst hat man am Ende parallele Insellösungen und kann die Synergieeffekte zwischen einzelnen Bereichen nicht nutzen“, so Raida. Synergien sei der Schlüsselbegriff für mehr Nachhaltigkeit. Denn sie sorgen für mehr Effizienz und so letztlich auch für weniger Ressourcenverschwendung. Aus diesem Grund sei, laut Raida, auch die Digitalisierung ein wichtiges „Werkzeug im Nachhaltigkeitsbaukasten“. Denn obwohl mehr digitale Lösungen auch mehr Energieverbrauch bedeuten, würden sie vor allem Prozesse verschlanken. So können software-gestützte Systeme zum Beispiel dafür sorgen, dass sich Materialbestellungen oder die Speiseversorgung der Patienten stärker am tatsächlichen Bedarf orientieren. „Die Entwicklungen der UME zum ‚Smart Hospital‘ und zum ‚Green Hospital‘ gehen Hand in Hand“, sagt auch Klimamanager Tobias Emler. Am Ende steht für ihn die Vision eines Krankenhauses, das neue Maßstäbe setzt – in der Patientenversorgung, in der Digitalisierung und eben auch in der Nachhaltigkeit: „Ich würde mir wünschen, dass das Thema Klima- und Umweltschutz in wenigen Monaten bei all meinen Kollegen in die ‚DNA‘ übergegangen ist und immer mitgedacht wird. Wir wollen Vorbild sein.“


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