MEIN LEBEN MIT ...
... NEUER PERSPEKTIVE
Eine Virusinfektion führt für den Ukrainer Yurii Kharachko zu einer schicksalhaften Begegnung am Universitätsklinikum Essen.
TEXT: CAROLIN DIEL
FOTOS: BOZICA BABIC
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Eine Virusinfektion führt für den Ukrainer Yurii Kharachko zu einer schicksalhaften Begegnung.
TEXT: CAROLIN DIEL
FOTOS: BOZICA BABIC
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Als der Ukrainer Yurii Kharachko vom Krieg erfährt, arbeitet er gerade in Polen, Hunderte Kilometer entfernt von seinem Zuhause und seiner Familie in Lwiw. Er ahnt, dass sich sein Leben verändern wird – doch wie sehr, ist ihm nicht bewusst. Der 27-Jährige weiß noch nicht, dass nicht nur in der Ukraine ein Krieg wütet, sondern auch in seinem Körper ein gefährliches Virus. Er weiß noch nicht, dass er in einer deutschen Klinik um sein Leben kämpfen wird. Und er weiß noch nicht, dass er bald eine schicksalhafte Begegnung macht.
Zwei Wochen später: Maria Schulz hat Dienst auf der M-INF 2, der Infektiologie am UK Essen. Sie erfährt von der Aufnahme eines jungen Ukrainers, der vor einem Supermarkt in Essen zusammengebrochen war. Seine Lunge war stark beschädigt, er kam auf die Intensivstation, wurde künstlich beatmet. Die Ärzte diagnostizierten einen heftigen Herpesvirusinfekt und begannen mit einer antiviralen Therapie.
Auf der M-INF 2 soll diese weitergeführt werden, bis der Patient sich erholt. Der Mann spricht weder Deutsch noch Englisch. Schulz wird hellhörig. Die gebürtige Polin spricht Russisch. Sie könne doch dolmetschen, denkt sie, und betritt Yurii Kharachkos Zimmer. Russisch, stellt sich heraus, spricht er nicht – aber Polnisch. Und so hat er zum ersten Mal seit Wochen jemanden zum Reden.

Wann immer Schulz Dienst hat, erwartet Kharachko sie bereits sehnsüchtig. Sie bringt ihm Cola und polnische Wurst, stellt viele Fragen. Kharachko erzählt von seinem unbeständigen Leben, von den vielen Jobs, vom Krieg. Er erzählt, wie er seine Familie an der Grenze abholt und zu sich nach Warschau nimmt, wie er als gelernter Maler ein befristetes Jobangebot in Essen bekommt und ihm auf der Fahrt dorthin übel wird vor Schmerzen. Schulz erklärt, dass er als Ukrainer wegen des Krieges Hilfe in Deutschland bekommen und seine Familie später nachholen könne. Dass Handwerker hier gefragt seien.
Ein folgenreicher Entschluss
Kharachko kommt ins Grübeln: „Ich war immer ein bisschen hier, ein bisschen da. Hatte nie eine richtige Heimat. Auf der M-INF 2 habe ich zum ersten Mal daran gedacht, dass ich meinem Leben eine Richtung geben sollte – und dass Deutschland dafür ein guter Ort sein könnte.“ Während sich sein Zustand verbessert, reift in ihm ein Entschluss: Er möchte bleiben.
Mit Hilfe des Sozialdienstes am UK Essen bereiten Schulz und Kharachko Anträge und Behördentermine vor. Am Tag der Entlassung, nach zwei Wochen auf der M-INF 2, fahren die beiden die Ämter ab. Drei Stunden später hat der junge Ukrainer eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis sowie einen Platz im Flüchtlingsheim. Doch als Schulz ihn dort abliefern will, zögert sie: „Ich sah die Hoffnungslosigkeit in den Gesichtern der Menschen, mein Herz hat wehgetan. Da habe ich gesagt: ‚Bleib bei mir‘.“
Eine ungewöhnliche Wohngemeinschaft
Zwei Monate wohnt Kharachko bei Schulz. Inzwischen hat er eine eigene Wohnung. Er lernt Deutsch, sucht eine Arbeit, möchte etwas aus sich machen. Schulz ist überzeugt, dass er das schafft. Er sei sehr zielstrebig. „Ohne Maria“, sagt Kharachko, „hätte ich das alles nicht geschafft.“ „Mit Yurii“, sagt Schulz, „habe ich eine Art verlorenen Sohn gefunden.“ Die letzten Wochen waren hart und hätten ihn verändert, so Kharachko: „Aber jetzt habe ich endlich eine Perspektive.“
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