FUSSBALLEUROPAMEISTERSCHAFT 2024
ESSENS FUßBALLKNEIPEN IM EM-FIEBER
18 Jahre nach der märchenhaften WM findet mit der EM 2024 wieder ein Fußball-Großereignis in Deutschland statt. Und ein Großereignis ist es auch für vier Essener Kneipenwirte, die die Wie is? vor dem ersten Anpfiff besucht hat.
FUSSBALL-EM
ESSENS FUßBALLKNEIPEN IM EM-FIEBER
18 Jahre nach der märchenhaften WM findet mit der EM wieder ein Fußball-Großereignis in Deutschland statt. Und ein Großereignis ist es auch für vier Essener Kneipenwirte, die die Wie is? vor dem ersten Anpfiff besucht hat.
TEXT: ARON SONDERKAMP
FOTOS: DOMINIK ASBACH
VIDEOS: ARON SONDERKAMP, MARCO CZIRPEK

Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten
München, 9. Juni 2006: Über der Autobahnbrücke erstreckt sich ein 65 Meter breiter Aufsteller von Oliver Kahn im Hechtsprung. Auf der Straße darunter bahnt sich ein schwarz-rot-goldener Bus seinen Weg zur Allianz Arena. Es ist der Auftakt zu einem unbeschwerten und berauschenden Sommer, in dem der Fußball und die Deutsche Nationalmannschaft gleich ein ganzes Land begeistern. Es ist der Auftakt zum Sommermärchen.
Vorgespult ins Jahr 2024: Nachdem Deutschland bei den letzten beiden Weltmeisterschaften bereits in der Vorrunde ausschied und es auch in der EM 2021 nur fürs Achtelfinale reichte, ist man mit Hochgefühlen zurückhaltend. Dabei findet am 14. Juni mit der Europameisterschaft erstmals seit 18 Jahren wieder ein Turnier im eigenen Land statt. Doch wo, wenn nicht im Ruhrgebiet, der selbs ernannten Heimat des Fußballs, sind die Funken nicht erloschen.
Viktoria Klause: Ein Meer aus Schals
Daniel Frank, Besitzer der Viktoria Klause
Wer in Essen-Katernberg ein Plätzchen zum Fußballschauen sucht, landet schnell vor einem Gebäude mit schwarzen Backsteinen und einer dunkelbraunen Holztür. Sobald sich die Tür öffnet, geht jedem Fußballfan das Herz auf. Neben Bildern, Trikots und ausgewählter Deko zieren dutzende Fanschals die Wände der Viktoria Klause. „Jeder Schal ist ein Geschenk. Der erste war von Rot-Weiss Essen aus der Saison 1992/93“, erklärt Daniel Frank, der die Fußballkneipe seit 23 Jahren betreibt. Schon als kleiner Junge von der Familie in den Fußball eingeführt und bis heute treuer RWE-Anhänger, war für den 44-Jährigen gleich klar, dass er die EM überträgt: „Das ist mein Land und meine Fußballmannschaft. Da bin ich stolz drauf, auch wenn wir mal scheiße spielen.“ 2002, bei Franks erster WM als Wirt der Viktoria Klause, sei die Stimmung schon gut gewesen, 2006 dann „ein absoluter Traum“, 2014 mit dem WM-Titel pure Ekstase: „Am Ende habe ich nur gesagt: Hau alles raus.“
Diese Stimmung, wenn sich die Bar mit dem ansonsten eher verschlafenen Charme und gemütlichen Charakteren in ein Tollhaus verwandelt, will Frank auch dieses Jahr erleben: „Wir werden im Biergarten grillen, die drei Fernseher draußen und die Leinwand hier drinnen anmachen. Es soll vor allem friedlich ablaufen. Aber es darf schon euphorisch sein.“ Frank wünscht sich, dass dadurch gerade auswärtige Fans eins mitnehmen: „Die Leute sollen sehen, wie wunderschön unser Ruhrgebiet ist und wie gastfreundlich wir sind.“

Anjas Treff: Frühstücksei, Bingo und Kniefall
Anja Davidheimann, Besitzerin von Anjas Treff
Nur knapp zwei Kilometer Luftlinie von der Viktoria Klause entfernt platzt der Schonnebecker Markt bereits am Morgen aus allen Nähten. Wer auf dem Karl-Meyer-Platz nicht durch die Marktstände bummelt, der ist nur wenige Meter weiter in Anjas Treff zu finden. Bunter könnte die Mischung kaum sein: Auf der einen Seite werden Frühstücksei und Kaffee serviert, auf der anderen Seite gibt es Weizen und Pils. Genau, wie Anja Davidheimann es mag: „Hier kommen viele ältere Gäste her aber auch viele junge Leute, die Party machen wollen. Es gibt regelmäßig Events, Feiern, Bingo- oder Grillabende. Unterm Strich sind wir eine große Familie und alle schnell beim Du.“ Abgesehen von einer kleinen, liebevoll eingerichteten Ecke, wo gleich acht Gartenzwerge im Dress des FC Schalke 04 und mehrere weitere Fanartikel stehen, weist nicht viel darauf hin, dass hier auch Fußball gezeigt wird. Weit gefehlt, wie die 57-Jährige betont: „Der Fußball hat hier schon einen hohen Stellenwert, gerade wenn Schalke spielt.“
Selbst nach 28 Jahren als Kneipenbesitzerin wirft sich Davidheimann für die großen Turniere noch gerne ins Zeug: „Zur EM werden wir den Laden schmücken. Es wird immer kleine Angebote und Events geben und an den Samstagen wird gegrillt.“ Die Emotionen, die Davidheimann im Gegenzug erhält, sind für sie ein schöner Lohn: „Zur Turnierzeit sind alle ein bisschen überdreht. Die Leute fliegen sich in die Arme oder knien vorm Fernseher. Aber ob sie gewinnen oder verlieren, gefeiert wird hier eigentlich immer. Das ist schon irre.“

Früher oder Später: Selbst die Toiletten sind im Fußballfieber
Christian Krause, Besitzer des Früher oder Später
Erfahrung mit euphorischen Fans hat auch Christian Krause. Als Rot-Weiss Essen 2022 in die dritte Liga aufstieg, machte sich ein riesiger Menschenpulk vom Stadion an der Hafenstraße auf den Weg zur Rüttenscheider Straße. Das Ziel: das Früher oder Später. „Die ganze Straße war voll. Das war mein erster und einziger Tag in der Gastro, wo ich kein Bier mehr hatte“, erinnert sich Krause mit einem Schmunzeln.
Dem 48-Jährigen gehört die ehemalige Kneipe der Kölner Früh-Brauerei seit fast zwölf Jahren. Er selbst ist seit Kindertagen Fußballer und hat diese Passion auch in seine Bar übertragen. An den Wänden reihen sich Bilder von Rock-Legenden und Fußball-Ikonen aneinander, selbst auf der Toilette ist vor lauter Fußball-Postern keine Tapete mehr zu sehen.
Krauses Credo: „Wir zeigen generell alles an Fußball.“ Nach der zuletzt enttäuschenden WM, die sich auch an der Gästezahl bemerkbar gemacht hat, erkennt Krause einen langsamen Aufschwung. „Zuletzt wurden wieder Tische für Länderspiele reserviert. Das gab es lange nicht mehr. 2014 sind nach dem Finale alle in Richtung Rü gezogen. Da haben wir dicht gemacht und sind mitgegangen.
Wenn sich die Stimmung wiederholen würde, wäre das doch wunderbar.“ Der langjährige Rock-DJ würde gerne wie zuletzt bei der WM 2014 wieder Kühlschränke zur Selbstbedienung in den Biergarten stellen, weil der Andrang schlicht zu groß ist: „Der Fußball kann einen Stimmungsaufschwung erzeugen, das hat man 1954 und 2006 gesehen. Das könnten wir mal wieder gebrauchen.“
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Ein Tor – ein Lächeln
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Panoptikum: Fußballrausch statt Wohnzimmerfeeling
Selbst Bars, die eigentlich mit Fußball nichts am Hut haben, hoffen auf eine Neuauflage des Sommermärchens. Vor rund 130 Jahren wurde im Panoptikum nahe der Essener Innenstadt das erste Bier gezapft. Heute versprüht die Bar Wohlfühlatmosphäre im Charme der 70er- und 80er-Jahre und steht für absolute Weltoffenheit.
Statt Trikots und Pokalen findet man im „Pano“ eher selbst gezüchtete Blumen. Sobald es jedoch auf ein großes Turnier zugeht, ändert sich das: „Wir zeigen alle Deutschlandspiele auf drei Leinwänden, an den Tischen können 10-Liter-Fässer bestellt werden und im Biergarten wird gegrillt“, erklärt Thorsten Teriete, der die Kneipe seit sechs Jahren betreibt. Sorgen über ausbleibende Euphorie macht er sich nicht: „Klar, 2006 war das eine ganz andere Stimmung.
Aber der Laden wird immer voll. Kurz vor der EM kommt immer die Hoffnung auf, dass doch alles gut wird.“ Für die Turnierzeit erhofft sich der 41-Jährige vor allem eins: „Ich hoffe, dass viele mit Trikots und Fähnchen kommen, ein ganzes Land stolz auf die Mannschaft ist und dass das für Offenheit sorgt. Spieler wie İlkay Gündoğan oder Toni Rüdiger sollen nicht nur im Nationaldress, sondern allgemein gern gesehen werden.“ Neben den vielen Gemeinsamkeiten vereint die Barbesitzer ein Wunsch: Ein bisschen mehr als die Gruppenphase darf es für Deutschland schon sein.
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