INTERVIEW
„HAUSÄRZTE ALS KAPITÄNE, SPEZIALISTEN ALS LOTSEN“
Die hausärztliche Versorgung steht auf der Kippe, weil immer mehr Patienten auf immer weniger Hausärzte kommen. Doch wie kann die Versorgung durch den Hausarzt in Zukunft funktionieren? Prof. Jürgen in der Schmitten, Direktor am Institut für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Essen, über mögliche Wege.
INTERVIEW
„HAUSÄRZTE ALS KAPITÄNE, SPEZIALISTEN ALS LOTSEN“
Die hausärztliche Versorgung steht auf der Kippe, weil immer mehr Patienten auf immer weniger Hausärzte kommen. Doch wie kann die Versorgung durch den Hausarzt in Zukunft funktionieren? Prof. Jürgen in der Schmitten, Direktor am Institut für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Essen, über mögliche Wege.
FOTOS: Privat
DAS GESPRÄCH FÜHRTE: CAROLIN DIEL

Prof. jürgen in der Schmitten, leitet das Institut für Allgemeinmedizin Universitätsklinikum Essen
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Hand aufs Herz: Stirbt der klassische Hausarzt aus? Wenn es so weiter geht, ja. Wir müssen uns überlegen, ob wir weiterhin eine Primärversorgung in Deutschland haben möchten, bei der Hausärzte erste Ansprechpersonen in allen medizinischen Fragen bleiben. Oder ob Patienten künftig direkt zum Spezialisten gehen.
Was spricht denn gegen den Gang zum Spezialisten? Die Bedeutung der Fachrichtungen steht außer Frage. Doch bleiben Spezialisten bei ungefiltertem Zugang chronisch unterfordert und sind auf simple Fälle nicht optimal vorbereitet. Wenn Patienten regelmäßig selbst entscheiden, welche Fachrichtung die richtige für ihr Leiden ist, ist das nicht nur ineffizient, sondern potenziell schädlich. Also brauchen wir den Hausarzt als Überweiser? Auch – aber nicht in erster Linie. Studien belegen, dass Hausärzte neun von zehn Patienten abschließend behandeln. Ich vergleiche Hausärzte lieber mit Kapitänen, die Spezialisten temporär als Lotsen mit an Bord nehmen. Woran liegt es dann, dass wir so einen akuten Hausarztmangel haben? Neben der Überalterung der Hausärzte haben wir unter dem Medizinernachwuchs viele, die Teilzeit arbeiten möchten. Entscheidend ist aber, dass sich nur ein kleiner Teil der Studierenden für die Allgemeinmedizin entscheidet. Je nach Jahr zehn bis 15 Prozent. Wir brauchen aber mindestens 40 Prozent. Wie kann man die Fachrichtung wieder attraktiver machen? Erstens: Die Allgemeinmedizin muss universitär präsent sein und auch eine wissenschaftliche Karriere bieten. Letzteres realisieren wir in Essen vorbildlich mit der internen Verbundweiterbildung Allgemeinmedizin. Zweitens: Wir brauchen ein neues, telemedizinisch unterstütztes Konzept für das lebenslange Lernen, das von Pharmainteressen frei ist und Hausärzte dazu befähigt, auch viele spezielle Fälle selbst zu behandeln. Stattdessen wird das Behandlungsangebot der Hausärzte seit Jahrzehnten immer schmaler.
Und drittens werden wir um eine quotierte Zugangsregelung bei den Fachrichtungen statt freier Wahl nicht herumkommen. In Ländern wie Belgien und den Niederlanden, wo Patienten als erstes den Primärarzt aufsuchen, ist das übrigens schon der Fall. Eine Quote hat aber nur dann den gewünschten Effekt, wenn der Hausarztberuf fachlich anspruchsvoll und wirtschaftlich attraktiv ist. Das erfordert politischen Willen.
Große Hoffnung ruht auch auf Physician Assistants (PA). Genau. Die Ausbildung von Medizinern ist teuer, viele der Inhalte werden in der späteren ärztlichen Routinetätigkeit aber gar nicht abgerufen. Da ist es sinnvoll, weniger komplexe Aufgaben an Teamkolleginnen und -kollegen abzugeben, die dafür gezielt qualifiziert worden sind. Wir am Institut für Allgemeinmedizin erforschen deshalb gerade, wie PA in Hausarztpraxen integriert werden können. Noch ist offen, wie wir die Schnittstelle zwischen Hausarzt und PA so gestalten können, dass der Hausarzt im richtigen Moment dazukommt. Und wie der Arztberuf aussieht, wenn Routineaufgaben großteils von PA übernommen werden.
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Angebote für Angehörige
Die Ambulanz der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der LVR-Universitätsklinik Essen bietet Angehörigen von schwerkranken Menschen psychologische Beratungsangebote an. Mehr Informationen erhalten Sie über das Ambulanzsekretariat unter: 0201 - 438 755 100
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