INTERVIEW
„WEGGEHEN KAM NIE INFRAGE“
Ex-Profischwimmer Christian Keller bezeichnet sich selbst als einen der „größten Lokalpatrioten“. Im Interview erklärt er, wie Heimatliebe zu seinem Erfolg beigetragen hat und warum Olympia für ihn in den Pott gehört.
INTERVIEW
„WOANDERS IS AUCH SCHEI***“
Musik, Fußball und das Ruhrgebiet – diese Themen prägen die Bücher von Frank Goosen. In der Pandemie war der überzeugte Bochumer produktiver als je zuvor und hat die Zeit genutzt, um an einem neuen Werk zu arbeiten.
TEXT: CAROLIN DIEL
FOTO: IMAGO / FUTURE IMAGE
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
2005 haben Sie ihre Karriere als Profischwimmer beendet. Wie viel Zeit verbringen Sie heute noch im Schwimmbecken?
Ich versuche, täglich zu schwimmen, beschränke mich aber auf „nur“ 2.000 Meter. Früher war die tägliche Strecke fünfmal so lang. Ganz ohne dieses Wassergefühl würde mir was fehlen.
16 Jahre lang Nationalmannschaft, 35 deutsche Meistertitel – wie konnten Sie so lange konstant gute Leistungen bringen?
Ich nenne es den „Tiger im Herzen“, also Kampfgeist und Lebensmut. Zudem habe ich von einem super familiären Umfeld, einem top Trainerteam und guter Organisation profitiert. Aber am Ende dürfen natürlich die Erfolge nicht fehlen. Sie sind die Motivation, dabeizubleiben und das harte Pensum zu absolvieren.
Sie sind immer in Essen geblieben und haben dort jahrzehntelang mit demselben Trainer trainiert. Das ist im Profisport ungewöhnlich. Welche Rolle spielen Beständigkeit und Heimatverbundenheit bei Ihren Erfolgen?
Ich bin einer der größten Lokalpatrioten, die man sich vorstellen kann. Ich habe in Essen ein sehr gutes Netzwerk und immer viel Unterstützung erfahren. Man muss allerdings unterscheiden: Ich war zwar vom Aufwand her Profi, aber es gibt in Deutschland nicht viele Sportarten, von denen man leben kann – auch Schwimmen gehört nicht dazu. Für mich waren also neben dem Sport Schule und Ausbildung wichtig. Und das konnte ich in Essen gut bewältigen, weil ich hier von der Wirtschaft und der Stadt bestmögliche Unterstützung erfahren habe. Dementsprechend kam es für mich nie infrage, wegzugehen.
Was war das Schwerste beim Abschied aus dem Profisport?
Das Schwerste war für mich, nicht mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit zu stehen. Wenn man es gewohnt ist, zweimal die Woche in den Printmedien zu sein, dann hat man schon daran zu knabbern, dass man plötzlich nicht mehr der strahlende Held ist. Ich habe den Übergang nach der Karriere aber gut hinbekommen, weil ich in meinem Weltmeisterjahr eine Bankausbildung angefangen und so die Grundlage für die Zeit nach dem Sport gelegt habe. Daher bin ich nicht in ein tiefes Loch gefallen.
Nach Ihrer Karriere sind Sie TV-Schwimmexperte für das ZDF geworden. Wie hat sich dieser Perspektivwechsel angefühlt?
Sehr gut. Es ist wunderschön, die nationalen und internationalen Erfolge vom Beckenrand aus kommentieren zu dürfen. Ich musste aber lernen, dass ich nicht nur die Schwimmer, sondern vor allem die Zuschauer im Hinterkopf habe. Ich kommentiere eben nicht für ein Fachpublikum, sondern für die breite Masse. Außerdem muss ich meine Rhetorik und meine Inhalte immer auf das Fernsehbild abstimmen. Dafür muss man gut vorbereitet und geistig flexibel sein.
Sie waren 2021 bei Olympia in Tokio. Dort ist das Thema mentaler Druck im Profisport stark in den Fokus gerückt. Wie haben Sie das damals als aktiver Sportler empfunden?
Die psychische Belastung ist immens groß. Man geht viele Dinge im Kopf durch und der Druck der Öffentlichkeit, der Sponsoren und die eigene Erwartungshaltung sind hoch. Man muss eine Balance finden, sodass man den Spaß und die Lust auf Erfolge nicht verliert. Es ist ein großer Unterschied, ob ich Angst vor dem Verlieren oder Lust aufs Gewinnen habe.
Sie haben selbst an vier Olympischen Spielen teilgenommen und sagen, für Sie hat das Event etwas „Magisches“. Warum?
Mit über 10.000 Athletinnen und Athleten mehrere Tage in einem Olympischen Dorf zusammenzuleben, das ist magisch. Egal, welche Hautfarbe, Herkunft oder Religion – alle haben das eine Ziel, in einem sportlich fairen Wettkampf alles zu geben.
Das Ruhrgebiet möchte seit Jahren Austragungsort von Olympia werden. Sie unterstützen das und haben in einem Interview gesagt, dass die Spiele hierhergehören. Warum?
Weil wir ein kultureller und historischer Schmelztiegel sind. Die Menschen der Region sind extrem weltoffen und sportbegeistert, nicht nur im Fußball, sondern in vielen Sportarten. Es ist von ihnen gewollt und gewünscht, die Spiele hier auszutragen.
Wären Sie auch gerne bei Olympia in Ihrer Heimat angetreten?
Das wäre natürlich ein großer Traum gewesen. Für jeden Athleten ist es das größte, im eigenen Wohnzimmer anzutreten. Wenn die Familie und Freunde am Beckenrand standen, war es immer was ganz Besonderes.

Christian Keller
wurde am 3. August 1972 in Essen-Werden geboren. 1992 in Athen tritt er erstmals bei den Olympischen Spielen an. Drei weitere Olympiateilnahmen folgten. Insgesamt schwamm Keller 16 Jahre lang für die deutsche Nationalmannschaft und hält damit einen Rekord. Zu seinen größten sportlichen Erfolgen zählen eine olympische Bronzemedaille, acht Weltcupsiege und 35 deutsche Meistertitel. 2005 beendete er seine Karriere, blieb dem Schwimmsport aber als TV-Experte erhalten. Hauptberuflich arbeitet er als Privatbankier.
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