NACHTSCHICHT
NACHTS IM KRANKENHAUS
Krankenhäuser sind 24-Stunden-Betriebe. Wenn sich andere Menschen schlafen legen, geht für die Mitarbeitenden der Nachtschicht am Universitätsklinikum Essen der Job erst los.
TEXT: CAROLIN DIEL
FOTO: JENS PUSSEL
TEXT: CAROLIN DIEL
FOTO: JAN LADWIG
Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten
20:58 Uhr
Schichtübergabe in der ZNA Nord. Ein Pfleger schiebt einen Monitor mit Patientendaten ins „Aquarium“, den Personalraum mit der großen Glasfront. Nach Behandlungsraum sortiert, stellt der Spätdienst die Patientinnen und Patienten vor. I 1: Patientin, die mit Fieber und ohne Bewusstsein eingeliefert wurde. U8: Patient mit Nierenkarziom. U 6: Patientin mit Luftnot. Gesundheits- und Krankenpfleger Janos Sobek macht sich Notizen.
Er hat gerne Nachtschicht. Da kommen nur „die richtigen Notfälle“, sagt er. Also keine Patienten, die eigentlich Fälle für den Hausarzt sind, mit denen die internistische Notaufnahme aber tagsüber häufig zu tun hat. Und Nachtdienste gehören zu den ruhigeren Schichten, so der 23-Jährige. Heute sieht das allerdings anders aus. Insgesamt 24 Patientinnen und Patienten übergibt der Spätdienst.
21:42 Uhr
Nur durch die Lamellen der Jalousien in den Behandlungszimmern erahnt man die hereinbrechende Nacht. Die Neonbeleuchtung an den Decken ist gleichbleibend hell. Hier gibt es keinen Nachtmodus. Das monotone, dumpfe Piepen der Alarme im Sekundentakt verstummt nie, ebenso wenig das Quietschen der Schuhe von Pflegenden und ärztlichem Personal auf dem Linoleumboden. Sobek ist auf seinem Patientenrundgang, mit dem er jede Schicht startet.
Aber während er noch „den Spätdienst aufräumt“, werden bereits drei Neuaufnahmen eingeliefert. Es wirkt nicht hektisch in der Notaufnahme. Nur wenn man genau hinsieht, erkennt man den Stress in den kleinen Gesten des Personals: ein besorgter Blick auf den Überwachungsmonitor der Station oder ein lautes Durchatmen beim Gang über den Flur.
Frische Luft und viel Bewegung – Georgius Tasikas ist nachts gern draußen.
Gesundheits- und Krankenpflegerin Saskia Steinkamp spricht über die Vor- und Nachteile von Nachtschichten.
23:21 Uhr
Ein paar Gebäude weiter: Patrick Horriar und Erol Karaduman haben es sich auf der schwarzen Ledercouch gemütlich gemacht. Im Fernseher läuft ARD Panorama, die Kaffeemaschine gluckert gelangweilt vor sich hin. Der Krankentransportdienst (KTD) arbeitet auf Zuruf, 24 Stunden. Wann immer am UK Essen jemand in eine andere Station verlegt werden muss, kommen Horriar, Karaduman und ihre Kollegen ins Spiel.
Zwischen den Einsätzen müssen sie sich die Zeit vertreiben. Die „wichtigsten Geräte“ des Nachtdiensts seien daher, erklärt Karaduman mit einem Schmunzeln: „Kaffeemaschine und Fernseher.“ Horriar und Karaduman haben Glück, sie mögen ähnliche Filme. In Ruhe einen Film zu Ende schauen ist allerdings in den wenigsten Nächten möglich. Denn in der Regel ist der KTD in Nachtdiensten permanent auf Achse.
Neben dem Flachbildfernseher steht ein aufgeklappter Laptop, der Bildschirm zeigt eine Tabelle. Wenn ein Auftrag reinkommt, füllt sich diese wie von Zauberhand. Horriar bemerkt den Eintrag schon Sekunden, nachdem er auf dem Bildschirm erscheint: Herzchirurgie nach Patho. Ein Verstorbener, erklärt Karaduman. Auch solche Transporte gehören dazu. Fünf Minuten später lenkt er den Krankentransportwagen geübt über die verlassenen Straßen des Klinikgeländes.
Von außen sieht das Fahrzeug aus wie ein Rettungswagen. Doch innen gibt es einen großen Unterschied: der Laderaum ist komplett leer. So ist genug Platz für Patientenbetten oder den Katafalk samt Metallsarg, der Vorrichtung, mit der Verstorbene transportiert werden. Einen Katafalk holen die beiden Männer nun aus der Pathologie – einen leeren –, um ihn in der Herzchirurgie gegen einen vollen zu tauschen.
„Es gab schon Kollegen, die den Job wegen der Totentransporte kündigen mussten. Die kamen mit dem Wissen, dass da jetzt eine Leiche drin liegt, nicht klar“, erklärt Horriar, während er den Sarg durch die Gänge der Herzchirurgie schiebt. Zurück in der Pathologie verschwindet der Sarg hinter einer schweren Metalltür in einem Kühlraum.

Sascha Schmithäuser erzählt, wie die Nacht an der Pforte aussieht.

1:03 Uhr
Im Operativen Zentrum II (OPZ II) blättert Sascha Schmithäuser in einem Buch. Wer heute Nacht in das Gebäude will, muss an ihm vorbei. Wer die UME anruft, wird von ihm begrüßt. Schmithäuser ist Pförtner, aber er ist noch mehr als das: Er ist Herr der Schlüssel und Hüter der Informationen. An seinem Empfangstresen kleben unzählige Zettel, die Schreibtischplatte ist gepflastert mit laminierten Telefon- und Namenslisten. Nein, er kenne nicht jede Nummer im Haus auswendig, sagt er – aber viele. „Die -1341 von der Unfallchirurgischen Notaufnahme hat man im Kopf, ne?“
Er redet schnell und mit norddeutschem Einschlag. Außerdem sind da ja nicht nur die internen Durchwahlen, sondern auch die Nummern der Seelsorge oder der Krankenhäuser im Umkreis. Kurz wird sein Redefluss vom Klingeln des Telefons unterbrochen. Schmithäuser nimmt ab. Ein Patient mit Augenproblemen. Er leitet ihn weiter an die Augenklinik. Die Nummer muss er nicht nachschauen.
Dann zeigt er ein weiteres seiner Heiligtümer: einen Metallschrank, in dem an nummerierten Haken Hunderte Schlüssel hängen. Die 5 ist für die Pathologie, die 17 für den Hubschrauberlandeplatz, die 112 ist auch für den Hubschrauberlandeplatz, aber darf nur an die Feuerwehr ausgegeben werden.
Ist es schwer, nachts durchzuhalten, wenn man allein ist? „Der erste der sieben Nachtdienste ist hart. Aber am Ende der Woche ist man dann oft total fit“, so Schmithäuser. Beim Durchhalten helfen ihm Cola oder Bücher. Zurzeit liest er die Bibel: „Ich bin gerade im Alten Testament, aber da skippe ich ein paar Teile. Das ist nicht mehr alles so aktuell.“
2:01 Uhr
Draußen vor dem OPZ II tauchen zwei Gestalten immer wieder in den milchigen Lichtkegeln der Straßenlaternen auf und verschwinden dann für kurze Zeit wieder in die Dunkelheit. Sie rütteln an Türen, schauen sich immer wieder aufmerksam um. Mehrmals die Nacht drehen Georgios Tasikas und Stefan Barragan vom Geländedienst ihre Runden. Es ist immer die gleiche Route: Herzzentrum, Urologie, muslimischer Gebetsraum, WTZ, Strahlenklinik, Lehr- und Lernzentrum, HNO- und Hautklinik. Jeder Kollege hat seine eigene Reihenfolge, erklärt Tasikas.
Der Geländedienst sorgt dafür, dass sich niemand auf dem Klinikgelände aufhält, der hier nicht hingehört, zum Beispiel Obdachlose oder Angehörige, die sich nicht an die Besuchszeiten halten wollen. Wenn sich jemand unbefugt Zutritt verschafft, verweisen die Wachmänner die ungebetenen Gäste des Geländes – freundlich, aber bestimmt. Nicht immer wird diese Bitte ohne Weiteres befolgt. Er bekomme auch mal Gewalt angedroht, erzählt Tasikas, bis hin zu Todesdrohungen. Aber inzwischen erkenne er, ob jemand Stress macht, erklärt der 41-Jährige, zum Beispiel an der Stimmlage. In solchen Fällen hilft Höflichkeit irgendwann nicht mehr: „Man muss auch mal frech sein, um sich Autorität zu verschaffen.“
Trotz solcher Zwischenfälle ist der Dienst in den frühen Morgenstunden für ihn „Luxusleben“, sagt Tasikas: „Ich bin ein Nachtmensch“. Vor seinem Klinikjob kellnerte er in Clubs. Und Nächte wie heute sind entspannt. Vor ein paar Stunden mussten sie eine Obdachlose vom Gelände verweisen, ansonsten bleibt es ruhig.
2:21 Uhr
Auch in der ZNA Nord ist es ruhiger geworden. Gegen 23 Uhr hat sich die Notaufnahme für die Rettungsdienste abgemeldet. Es gibt keine Kapazitäten mehr für Neuaufnahmen. Trotzdem schiebt jetzt ein Sanitäter eine Trage mit einer alten Dame durch die automatische Schiebetür. Wer einen Verdacht auf Herzinfarkt oder Schlaganfall hat, landet trotz der Aufnahmesperre am UK Essen – mangels alternativer Behandlungsmöglichkeiten.
Gesundheits- und Krankenpfleger Fabian Jenau nimmt die Patientin in Empfang. Sie soll ins CT. Er und seine Kollegen positionieren die Frau auf der CT-Liege, befestigen mit routinierten Handgriffen Kabel an ihrem Körper, legen Zugänge. Sie arbeiten wie Maschinen. Auf Knopfdruck. „Mein Körper funktioniert genauso wie am Tag“, erklärt Jenau, „das Adrenalin regelt das.“ Der kritische Punkt der Nacht allerdings folge laut Jenau erst noch. Zwischen 3 und 4 Uhr sei es mit der Müdigkeit am schwierigsten.
Gesundheits- und Krankenpfleger Janos Sobek erzählt, warum er gern nachts arbeitet.
4:11 Uhr
Saskia Steinkamp öffnet vorsichtig die Tür zu Patientenzimmer 10. Der Patient erschrickt nicht, er liegt wach. Steinkamp misst seinen Blutdruck, checkt seine Vitalwerte. Dann lässt sie ihn wieder allein, vielleicht kann er doch noch ein wenig Schlaf finden. Lang und tief wird dieser nicht sein, denn in zwei Stunden wird die Gesundheits- und Krankenpflegerin ihn wieder kurz wecken müssen.
Die regelmäßigen Kontrollgänge sind Pflicht auf der Neuro 2, der Station für Schlaganfälle. „Anders als bei einem gebrochenen Bein, kann man bei uns den Zustand der Patienten nicht äußerlich ablesen“, erklärt Steinkamp. Dazu gibt es Tests, bei denen sie zum Beispiel die Pupillenreaktion oder den Schluckreflex überprüft.
Auf der Neuro 2 spürt man die Nacht. In den Patientenzimmern wird das Licht gelöscht, die Bildschirme der Monitore werden ausgeschaltet, die Alarme hört man nur noch im Personalbereich. Komplett ruhig wird es trotzdem nicht, vor allem das Blubbern der Sauerstoffgeräte, die neben vielen Patientenbetten stehen, wirkt ungewöhnlich laut.
Steinkamp fordern Nachtdienste heraus, gibt sie zu: „Es geht einfach alles langsamer und braucht mehr Energie.“ Als Vorbereitung brauche sie nachmittags einen zweistündigen „Powernap“. Andererseits könne man sich nachts besser strukturieren, so die 31-Jährige. Es gibt keine Visiten, keine Untersuchungen und nur wenige Verlegungen, die Routinen unterbrechen.
4:43 Uhr
Gesundheits- und Krankenpfleger Fabian Jenau hat in der ZNA Nord seinen kritischen Punkt inzwischen überschritten. Die Müdigkeit komme aber vor allem an den Tagen, an denen nichts passiert, so Jenau. Er nimmt sich eine Tasse und füllt sie mit Kaffee.
Was der Nachtdienst mit ihm mache? Eigentlich möge er diese Schichten, sagt er. Man bekomme einen anderen Draht zu den Kollegen. „Ab 2 Uhr fängst du an, die Wahrheit zu erzählen“, zitiert er aus der Arztserie Scrubs. Nur die Folgen für den Körper machen auf die Dauer zu schaffen, sagt Jenau.
Es sind noch knapp zwei Stunden bis Schichtende. Alle Patientinnen und Patienten sind versorgt. Jenau und sein Kollege Janos Sobek machen eine Zigarettenpause. Draußen wird es langsam hell. Um 6 Uhr ist Übergabe, danach Feierabend. Direkt abschalten und ins Bett fallen, sei jedoch für den Nachtdienst nach einer stressigen Schicht wie heute oft schwierig, so Jenau. Daher lässt das Team die Nacht gerne gemeinsam gemütlich ausklingen – und das Erlebte sacken. Dazu geht es gleich noch zum Kiosk am Holsterhauser Platz, „noch ein Stauder trinken“.
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