KÖRPERSPENDE
WENN MENSCHEN IHREN KÖRPER DER MEDIZIN SPENDEN
Nach ihrem Tod überlässt Brigitte Birker als Körperspenderin ihren Leichnam dem Institut für Anatomie der Universitätsmedizin Essen. Für die Ausbildung von Medizinstudierenden sind wertvolle Spenden wie diese unverzichtbar.
TEXT UND FOTOS: MAIKE GRÖNEWEG

Körperspenderin Brigitte Birker mit Fotos von ihrem verstorbenen Mann und ihrer verstorbenen Tochter in ihrer Wohnung.
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Die Kirche St. Ludgerus in Essen ist gut gefüllt, als an diesem Freitagmorgen im Juli das Läuten der Glocken verklingt. Ein Chor stimmt „Amazing Grace“ an. Es folgen ein Gebet, eine Predigt, eine Andacht, der Gemeindegesang. Auf den ersten Blick wirkt alles wie eine normale Trauerfeier. Aber diese Trauerfeier ist von Medizinstudierenden organisiert – und gedacht wird 39 Menschen, die ihnen nach ihrem Tod ihre Körper gespendet haben.
Auf einer der Kirchenbänke sitzt die 78-jährige Brigitte Birker, die die Trauerfeier nicht nur als Angehörige besucht. Unter den Verstorbenen ist die Mutter ihrer Schwiegertochter. Wenige Tage zuvor ist Birkers Tochter Nicole, ebenfalls Körperspenderin, nach langer Krankheit gestorben. Aber auch Birker möchte ihren Leichnam dem Institut für Anatomie der Universitätsmedizin Essen überlassen.
Über den Tod hinaus etwas bewirken
Auf die Körperspende hat sie vor über 20 Jahren ein Arzt aufmerksam gemacht, als ihr Mann schwer erkrankte. „Er sagte, die Krankheit sei so selten, dass es gut wäre, wenn mehr Menschen etwas darüber lernen könnten“, erzählt Birker. Die Entscheidung des Paares war schnell getroffen. „Mit der Körperspende haben die Krankheiten meines Mannes und Nicoles schlimme Multiple Sklerose vielleicht doch noch einen Sinn. Außerdem ist das eine tolle Möglichkeit, Menschen über den Tod hinaus zu helfen. Wenn Studierende durch meinen Körper bessere Ärzte werden können, profitieren alle davon“, findet die 78-Jährige.
Ein häufiges Argument für die Körperspende, weiß Prof. Gunther Wennemuth, Leiter des Instituts für Anatomie: „Andere Spender haben gute Erfahrungen mit der Behandlung bei uns gemacht und wollen etwas zurückgeben. Wieder andere sind alleinstehend und möchten für sich planen.“
Medizinstudent Jan-Peter Börries über seinen Präparierkurs
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Sie möchten auch Körperspenderin oder Körperspender werden? Dann können Sie hier Kontakt mit dem Institut für Anatomie am Universitätsklinikum Essen aufnehmen und sich registrieren lassen.
Die Leichname finden vor allem im Präparierkurs für Medizinstudierende im zweiten Semester Verwendung. Darin erforschen die angehenden Ärztinnen und Ärzte einen gespendeten und mit einer speziellen Lösung fixierten Körper, indem sie ihn Schicht für Schicht zerlegen und dabei genau auf die anatomischen Strukturen achten.
Das Lernen am echten Körper habe laut Wennemuth zwei Vorteile. Lehrbücher und Modelle könnten nicht vermitteln, was im Körper parallel laufe, was miteinander verbunden sei oder wie die Beschaffenheit und Konsistenz von Organen, Geweben und Muskulatur sei. „Außerdem bereitet der Umgang mit Körperspenden auf den Arztberuf vor, zu dem nicht nur das Heilen und Helfen, sondern auch das Erleben und Begleiten des Sterbens gehören“, so Wennemuth.
Das kann auch Jan-Peter Börries bestätigen, der gerade sein zweites Semester des Medizinstudiums abgeschlossen hat. „Der Präparierkurs hat uns ein tiefes Verständnis für den menschlichen Körper vermittelt. Außerdem haben wir erkannt, dass jeder Körper anatomische Besonderheiten hat, die natürlich nicht alle im Lehrbuch wiedergegeben werden können“, sagt der 21-Jährige.
Gemeinsam mit etwa 12 Kommilitonen hat er den Körper eines 94-Jährigen präpariert, der – wie die Gruppe im Laufe des Kurses herausfand –, an einer Lungenentzündung verstorben ist. Viel mehr Informationen über die Spender bekommen die Studierenden nicht, um sich nicht zu sehr mit dem Tod des jeweiligen Menschen auseinanderzusetzen.
„Man muss versuchen, den Körper als Lernobjekt zu sehen und nicht als Menschen“, berichtet auch Börries. Daher spiele die Trauerfeier eine besondere Rolle im Studium, so Börries: „Hier werden die Körperspender für uns wieder zu Menschen, die ein Leben gelebt und Angehörige hinterlassen haben.“
„Zum Arztberuf gehören nicht nur Heilen und Helfen, sondern auch das Erleben und Begleiten des Sterbens.“
Prof. Gunther Wennemuth


„Zum Arztberuf gehören nicht nur Heilen und Helfen, sondern auch das Erleben und Begleiten des Sterbens.“
Prof. Gunther Wennemuth
Der gute Zweck über allem
Brigitte Birker hat die Trauerfeier tief berührt. „Die Dankbarkeit der Studierenden und die liebevolle Gestaltung, die ich bisher bei keiner anderen Beerdigung erlebt habe, haben mich in meinem Wunsch nach der Spende bestätigt. Ich hoffe, dass es klappt“, sagt sie. Denn als ihr Mann 2021 mit 82 Jahren verstarb, wurde bei ihm eine Sepsis festgestellt – aufgrund der Infektionsgefahr ein Ausschlusskriterium für die Körperspende. Umso glücklicher ist Birker, als es bei ihrer Tochter Nicole funktioniert.
Ein bis vier Jahre kann es dauern, bis der gespendete Körper präpariert und danach zur Beisetzung freigegeben ist. Für viele Angehörige bedeutet dieser Zeitraum eine große Belastung, nicht so für Birker: „Der gute Zweck steht über allem. Und am Uniklinikum Essen ist Nicole in guten Händen.“
Ihre eigene Spende kann aber noch ein paar Jahre warten, findet die 78-Jährige. Die begeisterte Ahnenforscherin hat zwei dicke Bücher geschrieben, die ihr nicht nur eine willkommene Ablenkung in schweren Zeiten waren, sondern ihr auch einen, wie sie sagt, guten Umgang mit dem Thema Tod ermöglicht haben.
Und ganz abgeschlossen ist ihre Forschung noch nicht. Birker: „Ich möchte gern noch nach Flandern und Burgund fahren, um weiterzuforschen. Und dann ist da noch meine Enkelin Lina. Auch wenn die Toten eine Rolle in meinem Leben spielen, möchte ich es noch mit den Lebenden genießen.“
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