ORGANTRANSPLANTATION
WIEDER EINEN HERZSCHLAG SPÜREN
Durchschnittlich drei Menschen sterben in Deutschland pro Tag, während sie auf ein Spenderorgan warten. Das Westdeutsche Zentrum für Organtransplantation (WZO) ist eines der größten Transplantationszentren in Deutschland und versucht, möglichst viele Leben zu retten.
TEXT: MAIKE GRÖNEWEG
FOTOS: JAN LADWIG
TEXT: MAIKE GRÖNEWEG
FOTO: JAN LADWIG

„Ich habe gefühlt, wie ein Herz in meiner Brust schlägt. Das war für mich ganz neu .“
Sebastian Noga
Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten
Sebastian Noga ist ein großer, dynamischer Mann. Nichts an seinem Auftreten lässt darauf schließen, dass er das letzte Jahr nur knapp überlebt hat. 2016 wurde bei dem Maler und Lackierer eine schwere Herzinsuffizienz diagnostiziert, Anfang 2020 brach er bei seinem Hausarzt zusammen: plötzlicher Herztod. Eine Stunde lang wurde er reanimiert, anschließend ins Krankenhaus gebracht und in die Reha geschickt. „Aber da habe ich weiter abgebaut“, erzählt Noga. „Ich hatte starke Kreislaufprobleme und Atemnot, weil mein Herz nur noch zu fünf bis zehn Prozent funktioniert hat.“
Und so landete Noga im Universitätsklinikum Essen. Schnell war klar: Mit seinem Herzen war er nicht überlebensfähig, er brauchte ein neues Herz. Also wurde Noga auf die Warteliste für ein Spenderorgan gesetzt und zunächst an ein Kunstherz angeschlossen. „Vier Schläuche führten aus meinem Brustkorb hinaus zu künstlichen Herzkammern. Ich habe immer einen kleinen Trolley hinter mir hergezogen, in dem die Elektronik und die Akkus verstaut waren“, schildert Noga. Eine unbequeme Lösung, aber erstmal die einzige – denn gespendete Organe in Deutschland sind rar.
Jede Hilfe zu spät
Ortswechsel: Universitätsklinikum Essen, eine der Intensivstationen. Was sich die letzten Stunden schon abgezeichnet hat, ist jetzt Fakt: Der Patient in Zimmer 3 ist hirntot. Es endet ein Leben, das anderen Menschen ein neues ermöglicht, denn die Angehörigen haben einer Organspende zugestimmt. „Das ist eher die Ausnahme. Wir haben viel zu wenig Organspender“, erzählt Holger Kraus, Organspende-Koordinator der UME. Ein bundesweites Problem: 8.500 Menschen warten momentan auf ein neues Organ. Bis Ende Juli dieses Jahres wurden nur 570 Menschen Organe zur Spende entnommen. Für viele kommt das rettende Organ zu spät – im Schnitt sterben jeden Tag drei Menschen auf der Warteliste.
Zu wenig Organspendeausweise
Der Grund: Einerseits haben nur wenige Menschen einen Organspendeausweis, der ihren Willen dokumentiert – obwohl laut Umfragen 84 Prozent zu einer Spende bereit wären. Viele Angehörige widersprechen aber einer Organspende, wenn sie unsicher sind, was die betroffene Person gewollt hätte. Deswegen sind eigentlich alle, die mit Organspenden zu tun haben, für die Widerspruchslösung. Andererseits findet das Thema auch im klinischen Alltag wenig Raum. „Aber dafür gibt es mich“, sagt Kraus schmunzelnd. „Ich kann frühzeitig schauen, wie ich den Prozess der Organspende begleiten kann, das Kollegium sensibilisieren und mit den Angehörigen sprechen, um sie in ihrem Entscheidungsprozess zu unterstützen.“
Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten
Sebastian Noga ist ein großer, dynamischer Mann. Nichts an seinem Auftreten lässt darauf schließen, dass er das letzte Jahr nur knapp überlebt hat. 2016 wurde bei dem Maler und Lackierer eine schwere Herzinsuffizienz diagnostiziert, Anfang 2020 brach er bei seinem Hausarzt zusammen: plötzlicher Herztod. Eine Stunde lang wurde er reanimiert, anschließend ins Krankenhaus gebracht und in die Reha geschickt. „Aber da habe ich weiter abgebaut“, erzählt Noga. „Ich hatte starke Kreislaufprobleme und Atemnot, weil mein Herz nur noch zu fünf bis zehn Prozent funktioniert hat.“
Und so landete Noga im Universitätsklinikum Essen. Schnell war klar: Mit seinem Herzen war er nicht überlebensfähig, er brauchte ein neues Herz. Also wurde Noga auf die Warteliste für ein Spenderorgan gesetzt und zunächst an ein Kunstherz angeschlossen. „Vier Schläuche führten aus meinem Brustkorb hinaus zu künstlichen Herzkammern. Ich habe immer einen kleinen Trolley hinter mir hergezogen, in dem die Elektronik und die Akkus verstaut waren“, schildert Noga. Eine unbequeme Lösung, aber erstmal die einzige – denn gespendete Organe in Deutschland sind rar.

„Ich habe gefühlt, wie ein Herz in meiner
Brust schlägt. Das war für mich ganz neu .“
Sebastian Noga
Jede Hilfe zu spät
Ortswechsel: Universitätsklinikum Essen, eine der Intensivstationen. Was sich die letzten Stunden schon abgezeichnet hat, ist jetzt Fakt: Der Patient in Zimmer 3 ist hirntot. Es endet ein Leben, das anderen Menschen ein neues ermöglicht, denn die Angehörigen haben einer Organspende zugestimmt. „Das ist eher die Ausnahme. Wir haben viel zu wenig Organspender“, erzählt Holger Kraus, Organspende-Koordinator der UME. Ein bundesweites Problem: 8.500 Menschen warten momentan auf ein neues Organ. Bis Ende Juli dieses Jahres wurden nur 570 Menschen Organe zur Spende entnommen. Für viele kommt das rettende Organ zu spät – im Schnitt sterben jeden Tag drei Menschen auf der Warteliste.
Zu wenig Organspendeausweise
Der Grund: Einerseits haben nur wenige Menschen einen Organspendeausweis, der ihren Willen dokumentiert – obwohl laut Umfragen 84 Prozent zu einer Spende bereit wären. Viele Angehörige widersprechen aber einer Organspende, wenn sie unsicher sind, was die betroffene Person gewollt hätte. Deswegen sind eigentlich alle, die mit Organspenden zu tun haben, für die Widerspruchslösung. Andererseits findet das Thema auch im klinischen Alltag wenig Raum. „Aber dafür gibt es mich“, sagt Kraus schmunzelnd. „Ich kann frühzeitig schauen, wie ich den Prozess der Organspende begleiten kann, das Kollegium sensibilisieren und mit den Angehörigen sprechen, um sie in ihrem Entscheidungsprozess zu unterstützen.“
Organspende in Zahlen:
Es gibt weniger Organspenden als benötigt werden.
Lungen
Herzen
Lebern
Nieren
Bauchspeicheldrüsen
Organe von 869 Organenspendern wurden im Jahr 2022 gespendet.
Organspende in Zahlen:
Es gibt weniger Organspenden als benötigt werden.
Organe von 869 Organenspender*innen wurden im Jahr 2022 gespendet.

Als Organspende-Koordinator hat Holger Kraus mehr Zeit als seine ärztlichen Kollegen – und kann diese gezielt unterstützen.
Umso motivierter sind hier heute alle, die Organspende zeitnah über die Bühne zu bringen. Die Koordination der Hirntoddiagnostik war dabei ein großer Schritt. „Sie folgt klaren Regeln, denn nur, wenn die Hirnaktivität nachweislich irreversibel verloren ist, kommt eine Spende infrage“, sagt Kraus, während er die Nummer der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) wählt. Sie muss wissen, dass hier heute wahrscheinlich Organe gespendet werden. Dazu muss der Patient erstmal gründlich untersucht werden. Deswegen hat Kraus seine ärztlichen Kollegen schon in den Morgenstunden kontaktiert.
„Zur Feststellung der Organfunktionen des Patienten brauchen wir Laborwerte, Ultraschall und Spiegelungen, für die wir teilweise die Fachspezialisten hinzuziehen“, erklärt Dr. Bastian Tebbe, Internist und einer der fünf Transplantationsbeauftragten. Die Organe des Patienten in Zimmer 3 scheinen – bis auf das Herz – transplantabel zu sein. Am Nachmittag trifft ein Koordinator der DSO ein.
Auch Eurotransplant, die Vermittlungsstelle für Organspenden in Belgien, Luxemburg, den Niederlanden, Deutschland, Österreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn, wird von ihm informiert. Eurotransplant wird die Organe – streng nach Vermittlungsregeln – über die verschiedenen Transplantationszentren an wartende Patienten vermitteln. Schon in der Nacht kann durch die Spende schwer kranken Menschen das Leben gerettet werden.
Eine schnelle Organisation
Wenn es so weit ist, kann es sein, dass das Telefon von Transplantationskoordinatorin Heidrun Kuhlmann oder ihren Kollegen klingelt. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche muss die Transplantationszentrale erreichbar sein, um kein Organangebot zu verpassen. Wenn ein Angebot kommt, beginnt ein eingespielter Prozess. „Zuerst rufen wir den für die Disziplin zuständigen Arzt an. Interdisziplinär muss schnell anhand der vorhandenen Daten entschieden werden, ob der von Eurotransplant bestimmte Patient das Organ bekommen soll oder nicht“, erklärt Kuhlmann.
Die Entscheidung für oder gegen das Organ gibt sie an Eurotransplant und die zuständige DSO-Region zurück. Je nach gespendetem Organ, zum Beispiel beim Herzen oder der Lunge, holt das transplantierende Team das Organ selbst ab – oder die Organe werden in einer Eisbox zum Transplantationszentrum transportiert.
Statt in der Eisbox können Organe auch in einer Perfusionsmaschine transportiert werden. In ihr ist eine bessere Beurteilung der Organfunktion möglich, wodurch viele Organe, die sonst abgelehnt werden müssten, doch transplantiert werden können.
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Ein Organspendeausweis kann zum Beispiel über die Stiftung Über Leben bestellt werden. Auf der Website der Stiftung gibt es viele neutrale Informationen rund um das Thema, die dazu anzuregen sollen, über das Leben und das, was danach kommt, nachzudenken.
Straffer Zeitplan
Mit der Annahme des Organangebots wird gleich auch die Transportlogistik geklärt. Damit die Zeit zwischen Organentnahme und -transplantation so kurz wie möglich bleibt, wird die schnellste Transportart gewählt. „Über 300 Kilometer wird geflogen, darunter gefahren. Leber, Herz und Lunge werden immer mit Blaulicht transportiert“, sagt Kuhlmann.
Das Herz sollte innerhab von vier, die Lunge innerhalb von sechs Stunden beim Empfänger sein. Die abdominellen Organe überstehen eine längere Zeit. Weitere Fragen zum Ablauf werden telefonisch mit dem Koordinator der DSO, der beim Organspender vor Ort die Spende organisiert, besprochen. Danach wird der Patient, der das Organ erhalten soll, einbestellt und durch den diensthabenden Chirurgen untersucht und erneut aufgeklärt.
„Weil es so schnell gehen muss, hat sich auch der Patient Tag und Nacht bereitzuhalten“, erklärt Kuhlmann. Alle an der Transplantation beteiligten Personen werden über die jeweils aktuelle Zeitplanung informiert: Die Anästhesie, die Operationspflege, der Hausdienst, die Station und die Intensivstation.
Kuhlmann koordiniert vor allem Lebertransplantationen. Wenn eine Leber angeboten wird, kennt Kuhlmann in der Regel den Empfänger – sie und ihre Kollegen melden Patientinnen für die Warteliste bei Eurotransplant. Ob ein Patient ein neues Organ braucht, wird vorher in wöchentlichen Konferenzen von Fachärzten verschiedener Disziplinen besprochen.
Wer entscheidet, wer ein Spenderorgan bekommt?
„Für die Leber entscheiden fünf Fachärzte“, erzählt Kuhlmann. Auf welchem Platz ein Patient auf der Warteliste landet, unterscheidet sich von Organ zu Organ – und wird regelmäßig aktualisiert. „Für die Leber zum Beispiel wird ein Score anhand von drei Laborwerten berechnet“, so Kuhlmann.
Und nicht nur der Wartelistenplatz muss stimmen – auch Blutgruppe und die Größe des Organs müssen passen. Drastisch ist das beim Herzen: Nur wer mit einer hohen Dringlichkeit auf der Warteliste vermerkt ist, hat eine bessere und damit reelle Chance auf ein Spenderorgan.
44 %
haben ihre Entscheidung zur Organ- oder Gewebespende schriftlich auf einem Organspendeausweis, in einer Patientenverfügung oder beidem
dokumentiert.
24 %
der Befragten, die sich auf ihrem Organspendeausweis gegen eine postmortale Organ- und Gewebespende entschieden haben, äußern Angst vor Missbrauch beziehungsweise mangelndes Vertrauen aufgrund negativer Berichterstattung als Grund dafür, eine Spende abzulehnen.
41 %
der Personen, die noch keine Entscheidung getroffen haben, begründen dies damit, sich bisher zu wenig mit dem Thema beschäftigt zu haben.

3 Menschen sterben in Deutschland durchschnittlich pro Tag, während sie auf ein Spenderorgan warten.
Rund 35 %
der Organspendeprozesse sind nach 18 Stunden abgeschlossen.
44 %
haben ihre Entscheidung zur Organ- oder Gewebespende schriftlich auf einem Organspendeausweis, in einer Patientenverfügung oder beidem dokumentiert.
24 %
der Befragten, die sich auf ihrem Organspendeausweis gegen eine postmortale Organ- und Gewebespende entschieden haben, äußern Angst vor Missbrauch beziehungsweise mangelndes Vertrauen aufgrund negativer Berichterstattung als Grund dafür, eine Spende abzulehnen.
41 %
der Personen, die noch keine Entscheidung getroffen haben, begründen dies damit, sich bisher zu wenig mit dem Thema beschäftigt zu haben.

3 Menschen sterben in Deutschland durchschnittlich pro Tag, während sie auf ein Spenderorgan warten.
Rund 35 %
der Organspendeprozesse sind nach 18 Stunden abgeschlossen.
Neues Leben dank Spenderherz
Für Sebastian Noga ging es im Juni 2022 überraschend schnell. Nur zwölf Stunden, nachdem seine Transplantation durch beginnende Infektionen und anhaltende Rhythmusstörungen als hoch dringlich eingestuft wurde, kam das Organangebot. Sechs bis neun Monate, so sagte man ihm zuvor, könne es trotz der neuen Einstufung dauern.
Sein neues Herz wurde mit der Perfusionsmaschine durchgecheckt, nach Essen transportiert – und eingesetzt. „Elf Stunden dauerte der Eingriff, weil das Herz schon so oft operiert wurde“, erzählt Operateur Dr. Nikolaus Pizanis. Als nach drei Wochen die Schmerzmittel langsam abklangen, realisierte Noga erst so richtig, was da eigentlich passiert war. „Ich habe gefühlt, wie ein Herz in meiner Brust schlägt. Das war für mich ganz neu“, schildert er.
Sein Leben lang wird er Immunsuppressiva nehmen müssen, damit sein Körper das gespendete Herz nicht abstößt. „Deswegen muss ich stark auf meine Ernährung und die Hygiene achten. Ich bin viel anfälliger für Infekte, die für mich gefährlich werden können. Auch meinen Job werde ich so nicht mehr ausüben können“, sagt Noga. Trotz aller Vorsicht genießt er seine neu gewonnene Freiheit, kann wieder Sport machen, spazieren gehen und in die Zukunft blicken – das erste Kind ist in Planung. Noga: „Es ist ein anderes Leben, das ich jetzt führe. Aber ich bin dankbar, dass ich überhaupt eins führen kann.“
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Das Westdeutsche Transplantationszentrum (WZO) umfasst alle Kliniken und Institute, die an der Versorgung und Behandlung im Rahmen einer Organtransplantation beteiligt sind. „Durch den Zusammenschluss und eine zentrale Geschäftstelle können Prozesse optimiert und vereinheitlicht und Expertisen gebündelt und ausgetauscht werden“, sagt Geschäftsführerin Dr. Ebru Yildiz. Dadurch ist das WZO nicht nur eines der größten, sondern auch eines der wenigen Zentren in Deutschland, in der alle soliden Organe transplantiert werden: Herz, Lunge, Leber, Niere und Bauchspeicheldrüsen.
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