MEIN LEBEN mit ...
... GUILLAIN-BARRÉ-SYNDROM
Brigitte Andorfer war plötzlich am ganzen Körper gelähmt. Jetzt steht sie wieder mit beiden Beinen fest im Leben.
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... GUILLAIN-BARRÉ-SYNDROM
Brigitte Andorfer war plötzlich am ganzen Körper gelähmt. Jetzt steht sie wieder mit beiden Beinen fest im Leben.
TEXT: CAROLIN DIEL
FOTOS: BOZICA BABIC
Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten
Es fing mit zwei Stürzen an. Der erste passiert an einer Familienweihnachtsfeier 2022 beim Fangenspielen mit den Enkeln, der zweite ein paar Tage später nachts beim Weg ins Bad. Zunächst denkt sich Brigitte Andorfer nichts dabei. Doch dann scheinen ihre Beine den Körper immer weniger tragen zu wollen. Schließlich sucht die 73-Jährige ihre Hausärztin auf – und wird direkt ans Krankenhaus überwiesen. Die Treppe von der Praxis zum Krankentransport schafft Andorfer schon nicht mehr allein. An Silvester liegt sie im künstlichen Koma auf der neurologischen Intensivstation des Universitätsklinikums (UK) Essen. Die Lähmungserscheinungen haben sich inzwischen bis in ihr Gesicht und ihre Fingerspitzen ausgebreitet. Brigitte Andorfer litt am Guillain-Barré-Syndrom (GBS). Dabei handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem in einer Überschussreaktion auf einen Infekt – bei Andorfer war es eine schwere Erkältung – plötzlich die körpereigenen Nervenzellen angreift. „Damit wird die Muskelfunktion gestört“, erklärt Prof. Mark Stettner, Oberarzt und Leiter der Poliklinik der Klinik für Neurologie am UK Essen. „Besonders gefährlich wird es, wenn das Nervensystem, das lebenswichtige Organe steuert, oder die Atemmuskulatur betroffen sind.“ Treffen kann es jeden. Etwa ein bis zwei von 100.000 Menschen erkranken jedes Jahr am GBS. Zwar stoppt die Attacke des Immunsystems in der Regel nach einer Zeit von selbst, unbehandelt erhöht sich jedoch das Risiko, dass die Krankheit mit einer Behinderung oder tödlich endet.
Nur dieses eine Paar ihrer vielen Turnschuhe konnte Brigitte Andorfer während der Reha ohne Schmerzen tragen.

Nur dieses eine Paar ihrer vielen Turnschuhe konnte Brigitte Andorfer während der Reha ohne Schmerzen tragen.
Endgegner Fußsohle
Ein Weg, das GBS zu therapieren, ist der Plasmaaustausch. Dabei werden aus dem Blut Entzündungsbotenstoffe und Antikörper herausgefiltert. Fünf Mal erhielt Andorfer am UK Essen einen Plasmaaustausch. Danach verbesserte sich ihr Zustand rapide. Doch die harte Zeit, wie sie sagt, stand ihr da noch bevor. Alles musste sie neu lernen: atmen, schlucken, laufen. „Das alles war nicht wie bei null anzufangen, sondern eher ein Start aus dem Minusbereich“, so Andorfer.
Und ein Körperteil erwies sich als besonders harter Gegner im Kampf zurück ins Leben: ihre Füße. Lange trug Andorfer in der Reha – entgegen dem Rat der Therapeuten – nur Filzschlappen. Nacheinander brachte ihr Mann ihr alle Turnschuhe von zu Hause mit in die Klinik. Nur ein Paar konnte sie ohne Schmerzen tragen. Dass es ausgerechnet die Füße waren, die ihr so lange Probleme bereiteten, war für Andorfer besonders bitter. Denn sie hegt eine Leidenschaft für Pumps.
Immerhin müsse sie auch einen beachtlichen Größenunterschied zwischen sich und ihrem Mann ausgleichen, sagt sie lachend. 26 Zentimeter trennen die beiden. „Meine Freundinnen haben immer aus Scherz gefragt, ob ich zum Küssen eine Leiter bräuchte“, so Andorfer. Der Moment, als sie im Oktober endlich in ihr erstes Paar hohe Schuhe schlüpfen konnte, wurde für sie daher zum kleinen Höhepunkt – auch wenn es nur Drei-Zentimeter-Absätze waren. Seither tastet sie sich an immer höhere Schuhe. An Weihnachten, so hofft sie, wird sie sich wieder ein Paar Pumps frei aus allen ihren Schuhen wählen können.
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