PORTRÄT
DIE EISERNE LADY
Ein gemeinsamer Rausch aus Schweiß, Adrenalin und Tränen — der 226 Kilometer lange Ironman auf Hawaii wird gefeiert und gefürchtet. 2023 mittendrin: UME-Mitarbeiterin Nicola Schweikhart.
PORTRÄT
DIE EISERNE LADY
Ein gemeinsamer Rausch aus Schweiß, Adrenalin und Tränen — der 226 Kilometer lange Ironman auf Hawaii wird gefeiert und gefürchtet. 2023 mittendrin: UME-Mitarbeiterin Nicola Schweikhart.
TEXT: CAROLIN DIEL
FOTOS: PRIVAT

Nicola Schweikhart bei ihrer Paradedisziplin Laufen.
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Rund 2.000 Frauen pilgern im Oktober 2023 nach Hawaii. „Wie eine große Sekte“, erzählt Nicola Schweikhart. Verbunden durch Adrenalin, feste Rituale und den gemeinsamen Glauben an eine höhere Macht: nicht etwa an einen Gott, sondern an den Kampfgeist. Und tatsächlich macht es den Anschein, als bräuchte man übermenschliche Kräfte oder zumindest diesen starken Glauben, um das zu schaffen, was sich hier alle vorgenommen haben: 3,86 Kilometer Schwimmen, 180,2 Kilometer Radfahren, 42,2 Kilometer Laufen – am Stück. Die ungewöhnlichen Pilgerinnen sind Teilnehmerinnen der Ironman World Championship der Frauen. Schweikhart ist eine von ihnen. In der Jugend war Nicola Schweikhart als Hockeyspielerin im Leistungssport aktiv. Als Erwachsene entdeckte sie das Laufen für sich, dann den Triathlon. Erst olympische Strecken, dann Mitteldistanzen und schließlich die Langstrecke. Die Weltmeisterschaft auf Hawaii war lange ein Traum. Doch dass er so schnell wahr werden könnte, hätte sie niemals geglaubt. Für die knapp 2.000 Startplätze, die jedes Jahr für die Ironman World Championship vergeben werden, kann man sich über Langdistanz-Rennen weltweit qualifizieren. Wer in seiner Altersklasse eine der schnellsten Zeiten erkämpft, erhält automatisch einen Teilnahme-Slot und wird nach der Siegerehrung am nächsten Tag ausgerufen. Im Juli 2022 tritt Schweikhart bei ihrem ersten Ironman in Klagenfurt an. Als sie nach der Siegerehrung ihren Namen hört, sei sie überrascht gewesen – und überfordert: „Meine Kinder standen kurz vorm Abitur, Hawaii passte nicht in meine Planung.“ Sie lehnt den Slot ab. Doch der „was wäre, wenn“-Gedanke lässt sie nicht los. Beim Ironman in Frankfurt ein Jahr später will sie es erneut mit der Qualifikation versuchen. Diesmal droht der Versuch allerdings an ihrem Körper zu scheitern. Vor dem Start in Frankfurt verletzt sie sich erst am Sprunggelenk, dann erhält sie einen Verdacht auf einen Tumor und muss zu Untersuchungen eine Woche im Krankenhaus bleiben. Das Sprunggelenk heilt, der Verdacht erhärtet sich nicht. Aber am Tag des Wettkampfs hat sie keine großen Erwartungen an sich. Trotzdem wird sie Zweite und hört später, wie ihr Name für Hawaii ausgerufen wird. Diesmal ist klar: „Jetzt muss ich das machen.“
Das Training: ein Job neben dem Job
Knapp 15 Stunden die Woche arbeitet Schweikhart im Sekretariat der Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Essen. 15 bis 20 Stunden verbringt sie im Wasser, auf dem Rad oder einer der vielen Laufstrecken im Ruhrgebiet. Sie sei eine „Abarbeiterin“, sagt sie. Das Gefühl, am Ende einer Woche alle Einheiten erfolgreich abgehakt zu haben, beflügelt sie. Aber es ist nicht nur der Sport, der sie am Ironman reizt, es ist auch die Gemeinschaft. Am meisten genießt sie das Training mit Gleichgesinnten am Wochenende. Ihre Trainingsgruppe bestehe aus den unterschiedlichsten Menschen, so Schweikhart, vom Banker bis zur Krankenpflegerin. „Beim Sport führen wir Gespräche, die ich so nie bei einer Tasse Kaffee führen würde“, erzählt sie. Vielleicht kommt das Wort „zusammenschweißen“ tatsächlich von Schweiß. Auch Hawaii erlebt sie wie in einem gemeinsamen Rausch: „Man steht so unglaublich unter Strom. Du kommst an und hast das Gefühl, es gibt da keinen normalen Menschen mehr. Alles nur diese Ironman-Frauen. Alle haben dieses breite Grinsen.“ Obwohl es für Schweikhart ein paar Wochen vor dem Flug noch einmal einen Schicksalsschlag gibt – eine heftige Corona-Erkrankung mit Lungenentzündung –, steht sie schließlich am 13. Oktober um 6:25 Uhr in der Bucht von Kailua-Kona. Startnummer 684. „Erst das Wasser, dann der Highway und schließlich Lava, Lava, Lava. Rechts und links nur Verpflegungsstände und leidende Menschen“, berichtet Schweikhart. Nach Kilometer 20 beim Marathon beginnt ihr Oberschenkelmuskel zu schmerzen. Aber sie beißt sich durch, spricht sich selbst zu: nur noch bis zum „Energy Lab“, dieser berühmt-berüchtigten schwersten Stelle des Rennens; nur noch hoch zurück zum Highway; nur noch bis zur Promenade. Und schließlich: nur noch bis zur Zielgeraden. Knapp 12,5 Stunden nach dem Start kommt Schweikhart „heulend, aber überglücklich“ ins Ziel. Für die diesjährige Weltmeisterschaft hat sich Schweikhart wieder qualifiziert, starten wird sie jedoch nicht. Die Eindrücke von Hawaii letztes Jahr reichen ihr fürs Erste.
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