HIV
30 JAHRE HIV-POSITIV
Noch in den 90er-Jahren war eine HIV-Diagnose ein Todesurteil. Seitdem hat sich viel verändert – und manches kaum.
HIV
30 JAHRE HIV-POSITIV
Noch in den 90er-Jahren war eine HIV-Diagnose ein Todesurteil. Seitdem hat sich viel verändert – und manches kaum.
TEXT: MAIKE GRÖNEWEG
FOTOS: PRIVAT, ISTOCK
Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
Maik Schütz ist gerade 23 Jahre alt, „fertig mit dem Studium und bereit fürs Leben“, wie er sagt, als er mit Halsschmerzen zum Hausarzt geht. Eine banale Mandelentzündung vielleicht, denkt er. Der Arzt kennt den jungen Mann schon seit dessen Kindheit, hat einen Verdacht, macht zwei Tests – und diagnostiziert Schütz wenige Wochen später eine fortgeschrittene HIV-Infektion. Es ist 1994 und die Diagnose ein Todesurteil.
Als Anfang der 80er-Jahre die ersten HIV-Infektionen in Deutschland auftreten, weiß man noch kaum etwas über den Virus. Innerhalb kurzer Zeit sterben immer mehr Menschen daran, zunächst vor allem homosexuelle Männer. In dieser Zeit beginnt Prof. Stefan Esser sein Studium an der Universität Duisburg-Essen – und seinen Job in der Venerologie am Universitätsklinikum (UK) Essen. „Ich habe miterlebt, wie viele junge Menschen durch Aids aus der Blüte ihres Lebens gerissen wurden. Und wie händeringend nach Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten gesucht wurde. Da war mein berufliches Lebensziel besiegelt“, erzählt Esser. Heute leitet er die Ambulanz für HIV, AIDS, Proktologie und Geschlechtskrankheiten.
Die neue Infektionskrankheit wird damals schnell zur Pandemie. Bald kommen Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen zu Esser – von der Wohnungslosen bis zum heterosexuellen Politiker. Trotzdem herrscht lange der Irrglaube, die Krankheit betreffe ausschließlich schwule Männer und Drogenabhängige. Noch immer beherrschen häufig unbegründete Ängste vor Ansteckung den Umgang mit HIV-positiven Menschen, so Esser, selbst im Gesundheitswesen – obwohl sie, wenn sie effektiv antiretroviral behandelt werden, ohne nachweisbare HI-Viruslast im Blut nicht ansteckend sind.
Auch Maik Schütz landet nach seiner Diagnose am UK Essen und damit bei Esser. Als einer der wenigen, die damals überleben. Auch als einziger Überlebender seiner Clique. „Geholfen hat mir damals ein Medikament aus der Krebstherapie, das mir, wenn es anschlagen würde, noch sechs Monate verschaffen sollte“, sagt Schütz heute. Aus den sechs Monaten werden zwölf, aus den zwölf Monaten Jahre. „Dank der antiretroviralen Therapie, die einige Jahre nach meiner Diagnose auf den Markt kam, ging es mir endlich wieder deutlich besser“, sagt Schütz.

Maik Schütz lebt seit seinem 24. Lebensjahr mit der Diagnose HIV-positiv.
Der Virus, der nichts verzeiht Für Esser ist die antiretrovirale Therapie der große medizinische Durchbruch in der Versorgung von HIV-Patienten. Unbehandelt führt die Infektion zu einer wachsenden Immunschwäche, die immer mehr Krankheiten wie Infektionen und Tumore nach sich zieht. Dann spricht man von AIDS. Der Infizierte stirbt schließlich an einer der Folgeerkrankungen oder an Erschöpfung. „Die antiretrovirale Therapie stoppt die Vermehrung von HI-Viren. Dadurch kann sich das Immunsystem wieder erholen und HIV-Positive können ein nahezu normales Leben führen“, so Esser.
Anfangs ist die medikamentöse Therapie noch recht kompliziert. „Ich hatte eine Handvoll Tabletten, die ich teilweise zu unterschiedlichen Zeiten einnehmen musste: das eigentliche Medikament, Magenschoner, Leberschoner, Nierenschoner. Eine Zeit lang musste ich mir dafür sogar nachts einen Wecker stellen“, erzählt Schütz. Heute ist nur noch eine Tablette zur Behandlung nötig. Allerdings müsse man bei deren Einnahme absolut diszipliniert sein, betont Mediziner Esser: „HIV verzeiht vergessene Medikamente nicht. Dadurch kann es resistent werden, denn es ist sehr mutationsfreudig und variantenreich.“
Zentrale Aufgaben in der HIV-Medizin sind daher nach wie vor die Aufklärung und die Förderung der Therapietreue der Patienten. Heute gibt es außerdem die Möglichkeit, sich mit Medikamenten präventiv oder nach einem Risikokontakt vor einer Ansteckung zu schützen. Hinzu kommen verschiedene Testmöglichkeiten, um Infektionen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, anonym und kostenlos in Gesundheitsämtern etwa, in der Hausarztpraxis oder in Beratungsstellen. Seit ein paar Jahren allerdings gehen auch immer wieder Berichte von HIV-Heilungen durch die Medien. Zuletzt der Fall eines 60-jährigen Patienten an der Berliner Charité im Juli dieses Jahres. Gibt es also Hoffnung, dass HIV bald in der Breite heilbar wird? Da winkt Esser ab. Die bisherigen Heilungen seien seltene Einzelfälle, die nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen eintreten konnten. „Heilungsversuche – von denen übrigens aktuell auch einer am UK Essen läuft – werden bisher ausschließlich an Patienten gemacht, die sowohl HIV als auch Blutkrebs haben und bei denen andere Krebstherapien nicht angeschlagen haben. Bei der sogenannten Stammzelltherapie ist es durch die Auswahl spezieller Spender gelungen, Menschen von beiden Erkrankungen zu heilen. Allerdings sterben auch Patienten an der hochriskanten Therapie“, erklärt Esser.
Ähnlich schwierig sei es mit einer Impfung. Was SARS-CoV-2 während der ganzen Corona-Pandemie an Mutationen entwickelt habe, schaffe der HI-Virus innerhalb weniger Tage, so Esser: „Das heißt, gegen HIV müssten wir jeden Tag neu impfen.“ Hinzu kommt, dass Viren sich direkt in die menschliche DNA einschweißen können. „Wenn ich HIV eliminieren möchte, muss ich es also aus dem menschlichen Erbgut wieder rausschneiden oder die Zellen töten. Diese Zellen werden aber natürlich vom Körper gebraucht und geschützt“, erklärt Esser.

Maik Schütz lebt seit seinem 24. Lebensjahr mit der Diagnose HIV-positiv.


Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
Maik Schütz ist gerade 23 Jahre alt, „fertig mit dem Studium und bereit fürs Leben“, wie er sagt, als er mit Halsschmerzen zum Hausarzt geht. Eine banale Mandelentzündung vielleicht, denkt er. Der Arzt kennt den jungen Mann schon seit dessen Kindheit, hat einen Verdacht, macht zwei Tests – und diagnostiziert Schütz wenige Wochen später eine fortgeschrittene HIV-Infektion. Es ist 1994 und die Diagnose ein Todesurteil. Als Anfang der 80er-Jahre die ersten HIV-Infektionen in Deutschland auftreten, weiß man noch kaum etwas über den Virus. Innerhalb kurzer Zeit sterben immer mehr Menschen daran, zunächst vor allem homosexuelle Männer. In dieser Zeit beginnt Prof. Stefan Esser sein Studium an der Universität Duisburg-Essen – und seinen Job in der Venerologie am Universitätsklinikum (UK) Essen. „Ich habe miterlebt, wie viele junge Menschen durch Aids aus der Blüte ihres Lebens gerissen wurden. Und wie händeringend nach Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten gesucht wurde. Da war mein berufliches Lebensziel besiegelt“, erzählt Esser. Heute leitet er die Ambulanz für HIV, AIDS, Proktologie und Geschlechtskrankheiten. Die neue Infektionskrankheit wird damals schnell zur Pandemie. Bald kommen Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen zu Esser – von der Wohnungslosen bis zum heterosexuellen Politiker. Trotzdem herrscht lange der Irrglaube, die Krankheit betreffe ausschließlich schwule Männer und Drogenabhängige. Noch immer beherrschen häufig unbegründete Ängste vor Ansteckung den Umgang mit HIV-positiven Menschen, so Esser, selbst im Gesundheitswesen – obwohl sie, wenn sie effektiv antiretroviral behandelt werden, ohne nachweisbare HI-Viruslast im Blut nicht ansteckend sind. Auch Maik Schütz landet nach seiner Diagnose am UK Essen und damit bei Esser. Als einer der wenigen, die damals überleben. Auch als einziger Überlebender seiner Clique. „Geholfen hat mir damals ein Medikament aus der Krebstherapie, das mir, wenn es anschlagen würde, noch sechs Monate verschaffen sollte“, sagt Schütz heute. Aus den sechs Monaten werden zwölf, aus den zwölf Monaten Jahre. „Dank der antiretroviralen Therapie, die einige Jahre nach meiner Diagnose auf den Markt kam, ging es mir endlich wieder deutlich besser“, sagt Schütz.
Maik Schütz lebt seit seinem 24. Lebensjahr mit der Diagnose HIV-positiv.
Der Virus, der nichts verzeiht
Für Esser ist die antiretrovirale Therapie der große medizinische Durchbruch in der Versorgung von HIV-Patienten. Unbehandelt führt die Infektion zu einer wachsenden Immunschwäche, die immer mehr Krankheiten wie Infektionen und Tumore nach sich zieht. Dann spricht man von AIDS. Der Infizierte stirbt schließlich an einer der Folgeerkrankungen oder an Erschöpfung. „Die antiretrovirale Therapie stoppt die Vermehrung von HI-Viren. Dadurch kann sich das Immunsystem wieder erholen und HIV-Positive können ein nahezu normales Leben führen“, so Esser. Anfangs ist die medikamentöse Therapie noch recht kompliziert. „Ich hatte eine Handvoll Tabletten, die ich teilweise zu unterschiedlichen Zeiten einnehmen musste: das eigentliche Medikament, Magenschoner, Leberschoner, Nierenschoner. Eine Zeit lang musste ich mir dafür sogar nachts einen Wecker stellen“, erzählt Schütz. Heute ist nur noch eine Tablette zur Behandlung nötig. Allerdings müsse man bei deren Einnahme absolut diszipliniert sein, betont Mediziner Esser: „HIV verzeiht vergessene Medikamente nicht. Dadurch kann es resistent werden, denn es ist sehr mutationsfreudig und variantenreich.“ Zentrale Aufgaben in der HIV-Medizin sind daher nach wie vor die Aufklärung und die Förderung der Therapietreue der Patienten. Heute gibt es außerdem die Möglichkeit, sich mit Medikamenten präventiv oder nach einem Risikokontakt vor einer Ansteckung zu schützen. Hinzu kommen verschiedene Testmöglichkeiten, um Infektionen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, anonym und kostenlos in Gesundheitsämtern etwa, in der Hausarztpraxis oder in Beratungsstellen. Seit ein paar Jahren allerdings gehen auch immer wieder Berichte von HIV-Heilungen durch die Medien. Zuletzt der Fall eines 60-jährigen Patienten an der Berliner Charité im Juli dieses Jahres. Gibt es also Hoffnung, dass HIV bald in der Breite heilbar wird? Da winkt Esser ab. Die bisherigen Heilungen seien seltene Einzelfälle, die nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen eintreten konnten. „Heilungsversuche – von denen übrigens aktuell auch einer am UK Essen läuft – werden bisher ausschließlich an Patienten gemacht, die sowohl HIV als auch Blutkrebs haben und bei denen andere Krebstherapien nicht angeschlagen haben. Bei der sogenannten Stammzelltherapie ist es durch die Auswahl spezieller Spender gelungen, Menschen von beiden Erkrankungen zu heilen. Allerdings sterben auch Patienten an der hochriskanten Therapie“, erklärt Esser. Ähnlich schwierig sei es mit einer Impfung. Was SARS-CoV-2 während der ganzen Corona-Pandemie an Mutationen entwickelt habe, schaffe der HI-Virus innerhalb weniger Tage, so Esser: „Das heißt, gegen HIV müssten wir jeden Tag neu impfen.“ Hinzu kommt, dass Viren sich direkt in die menschliche DNA einschweißen können. „Wenn ich HIV eliminieren möchte, muss ich es also aus dem menschlichen Erbgut wieder rausschneiden oder die Zellen töten. Diese Zellen werden aber natürlich vom Körper gebraucht und geschützt“, erklärt Esser.


Prof. Stefan Esser, Leitender Oberarzt am Zentrum für HIV, AIDS, Proktologie und Geschlechtskrankheiten des UK Essen

Maik Schütz lebt seit seinem 24. Lebensjahr mit der Diagnose HIV-positiv.


Prof. Stefan Esser
Maik Schütz spürt heute von seiner Infektion dank der medikamentösen Therapie nichts mehr und ist auch nicht ansteckend, die Stigmatisierung von Menschen mit HIV habe aber kaum abgenommen, findet er. „Ich erlebe immer noch mehr Angst als Aufklärung und werde beim Zahnarzt manchmal abgewiesen oder darf erst am Ende des Tages kommen, weil danach übertriebene Schutzmaßnahmen ergriffen werden“, erzählt er. Deshalb engagiert sich der heute 53-Jährige im Vorstand der Aidshilfe Nordrhein-Westfalen, fordert regelmäßige Schulungen für medizinisches Personal und gibt selbst welche an Schulen. Nur im privaten Umfeld erlebt Schütz kaum negative Reaktionen – immerhin. Schütz: „Wenn ich Menschen sage, dass ich HIV-positiv bin, überlegen sie immer erst einmal kurz. Dann höre ich meistens: ‚Das sieht man dir gar nicht an‘. Und dann wird das Thema gewechselt.“
Maik Schütz spürt heute von seiner Infektion dank der medikamentösen Therapie nichts mehr und ist auch nicht ansteckend, die Stigmatisierung von Menschen mit HIV habe aber kaum abgenommen, findet er. „Ich erlebe immer noch mehr Angst als Aufklärung und werde beim Zahnarzt manchmal abgewiesen oder darf erst am Ende des Tages kommen, weil danach übertriebene Schutzmaßnahmen ergriffen werden“, erzählt er. Deshalb engagiert sich der heute 53-Jährige im Vorstand der Aidshilfe Nordrhein-Westfalen, fordert regelmäßige Schulungen für medizinisches Personal und gibt selbst welche an Schulen. Nur im privaten Umfeld erlebt Schütz kaum negative Reaktionen – immerhin. Schütz: „Wenn ich Menschen sage, dass ich HIV-positiv bin, überlegen sie immer erst einmal kurz. Dann höre ich meistens: ‚Das sieht man dir gar nicht an‘. Und dann wird das Thema gewechselt.“
Maik Schütz spürt heute von seiner Infektion dank der medikamentösen Therapie nichts mehr und ist auch nicht ansteckend, die Stigmatisierung von Menschen mit HIV habe aber kaum abgenommen, findet er. „Ich erlebe immer noch mehr Angst als Aufklärung und werde beim Zahnarzt manchmal abgewiesen oder darf erst am Ende des Tages kommen, weil danach übertriebene Schutzmaßnahmen ergriffen werden“, erzählt er. Deshalb engagiert sich der heute 53-Jährige im Vorstand der Aidshilfe Nordrhein-Westfalen, fordert regelmäßige Schulungen für medizinisches Personal und gibt selbst welche an Schulen.
Nur im privaten Umfeld erlebt Schütz kaum negative Reaktionen – immerhin. Schütz: „Wenn ich Menschen sage, dass ich HIV-positiv bin, überlegen sie immer erst einmal kurz. Dann höre ich meistens: ‚Das sieht man dir gar nicht an‘. Und dann wird das Thema gewechselt.“


Maik Schütz spürt heute von seiner Infektion dank der medikamentösen Therapie nichts mehr und ist auch nicht ansteckend, die Stigmatisierung von Menschen mit HIV habe aber kaum abgenommen, findet er. „Ich erlebe immer noch mehr Angst als Aufklärung und werde beim Zahnarzt manchmal abgewiesen oder darf erst am Ende des Tages kommen, weil danach übertriebene Schutzmaßnahmen ergriffen werden“, erzählt er. Deshalb engagiert sich der heute 53-Jährige im Vorstand der Aidshilfe Nordrhein-Westfalen, fordert regelmäßige Schulungen für medizinisches Personal und gibt selbst welche an Schulen. Nur im privaten Umfeld erlebt Schütz kaum negative Reaktionen – immerhin. Schütz: „Wenn ich Menschen sage, dass ich HIV-positiv bin, überlegen sie immer erst einmal kurz. Dann höre ich meistens: ‚Das sieht man dir gar nicht an‘. Und dann wird das Thema gewechselt.“


Prof. Stefan Esser, Leitender Oberarzt am Zentrum für HIV, AIDS, Proktologie und Geschlechtskrankheiten des UK Essen
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