MEINE ENTDECKUNG
HINTERM TOR DES BEWUSSTSEINS
Sie sind im Verhältnis selten und daher wenig erforscht: Schlaganfälle, bei denen nur der Thalamus betroffen ist. Dr. Anne-Carina Scharf will Betroffenen bessere Prognosen geben können.
ILLUSTRATION: MARIA MARTIN
TEXT: FLORENTIN BUB

Dr. Anne-Carina Scharf arbeitet als Assistenzärztin in der Neurochirurgie im Städtischen Klinikum Solingen und im NeuroScienceLab der Universitätsmedizin Essen.
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Nur drei bis vier Prozent aller Hirninfarkte sind reine Thalamusinfarkte – also Schlaganfälle, bei denen einzig dieser Teil des Gehirns betroffen ist. Ein kleiner, aber sehr wichtiger Teil: Hier werden alle Sinneseindrücke gefiltert. Man spricht daher auch vom „Tor des Bewusstseins“. Am NeuroScienceLab der Universität Duisburg-Essen widmet sich Dr. Anne-Carina Scharf mit einer speziellen Arbeitsgruppe seit 2016 dem bisher wenig erforschten Thema Thalamusinfarkt.
„Unsere Studie ist die erste, die isoliert Thalamusinfarkte und deren Entwicklung im Zeitverlauf betrachtet“, so Scharf. „Bisherige Studien basieren meist auf Einzelfallanalysen oder kleineren, im Rückblick analysierten Kohorten.“ Ihr Ziel: Patienten schon in einem frühen Stadium Prognosen über den weiteren Verlauf vermitteln zu können.
Thalamusinfarkt im paramedianen Bereich: nahezu vollständige Erholung
Gemeinsam mit der Arbeitsgruppe hat Scharf etwa 50 Patienten, die einen Thalamusinfarkt erlitten haben, rekrutiert und über zwei Jahre eng begleitet. „Wir haben jeden Patienten noch viermal gesehen und zum Beispiel neuropsychologischen Untersuchungen unterzogen oder ein MRT durchgeführt“, sagt Scharf. Mittlerweile ist die Datenerhebung abgeschlossen und die erste von drei geplanten Publikationen veröffentlicht.
Die ersten Studienergebnisse sind besonders für Patienten, die von einem Thalamusinfarkt im paramedianen Bereich betroffen sind, positiv. „Hier sehen wir eine nahezu vollständige Erholung“, sagt Scharf. „Es ist einerseits eine tolle Motivation für die Reha, wenn Ärzte Patienten mit einer solchen Prognose Mut machen können. Andererseits ist es aber wichtig, Transparenz zu schaffen über mögliche bleibende Einschränkungen.“
Auch kognitive Einschränkungen im Blick behalten
Die Ergebnisse der Studie setzen außerdem bei Ärztinnen und Ärzten an. „Gerade kognitive Einschränkungen nach Schlaganfällen finden im Klinikalltag oft zu wenig Beachtung“, findet Scharf. Dabei sei es anhand weniger Fragestellungen leicht, auch diese im Blick zu haben, also beispielsweise zu überprüfen, ob Patienten sich Dinge merken können. „Kognitive Defizite lassen sich aber natürlich auch besser verbergen und sind in einer Zwei-Minuten-Visite nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Anders als zum Beispiel Lähmungserscheinungen.“
Scharf schätzt an ihrem Forschungsfeld insbesondere, dass es Medizin und Psychologie kombiniert. Schließlich hat die Doktorin der Medizin vor beziehungsweise während ihres Medizinstudiums bereits einen Bachelor und Master in Psychologie absolviert. Aber nicht nur diese Kombination liegt ihr am Herzen, sondern auch der Bezug zum Klinikalltag.
„Patienten und ihre Angehörigen interessiert natürlich immer, wie es nach einem Schlaganfall weitergeht“, weiß Scharf. „Deswegen ist es so hilfreich, dass unsere Studie die Patienten über zwei Jahre begleitet hat. So können wir relativ verbindliche Aussagen über den Langzeitverlauf machen.“