KÜNSTLERISCHE THERAPIEN

DIE KUNST DES HEILENS


Angst, Hoffnung, Überforderung, Schmerz – schwerstkranke Patientinnen und Patienten durchleben viele Gefühle. Nicht immer lassen sich diese in Worte fassen, manchmal braucht es andere, kreativere Ausdrucksformen.

TEXT: CAROLIN DIEL

FOTOS: JAN LADWIG

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Kevin Schneider blickt auf die leere Leinwand vor sich. Dann beginnt er mit einer kleinen Farbrolle, die weiße Fläche mit Farbe zu füllen: Blau, Türkis, ein sattes Rot. Das letzte Mal gemalt habe er in der siebten Klasse, sagt Kevin Schneider: „Zahlen sind eher was für mich als Farben.“ Doch das war, bevor eine Diagnose von heute auf morgen alles für den jungen Mann verändert. Im Sommer wird er wegen eines bösartigen Tumors in der Leiste stationärer Patient an der UME: Chemo, Strahlentherapie, das ganze Programm. „Ich war erschrocken, dass mein Körper durch die Krankheit und die Therapien auf einmal nicht mehr das konnte, was vorher selbstverständlich war“, erzählt Schneider. Was ihm durch die schwierige Zeit hilft? Etwas, was er selbst nie erwartet hätte: Malen.

Schicht für Schicht

Schneider nimmt an der Kreativtherapie teil, die den Patientinnen und Patienten am Westdeutschen Tumorzentrum (WTZ) angeboten wird – eines von vielen kreativen Therapieangeboten der Universitätsmedizin Essen. Gebündelt werden sie im neuen Zentrum für künstlerische Therapien (ZfkT). Das Ziel dieser Therapien? Vom Klinikalltag ablenken und den Patienten Selbstvertrauen zurückgeben. „Oft sieht man in der Krankheit nur, was man alles nicht mehr kann. Bei uns geht es darum, den Fokus auf das zu legen, was man noch kann“, erklärt Simone Götz, Kreativtherapeutin am ZfkT. Kreatives Arbeiten bringe zudem oft Gefühle zum Ausdruck, die für die Betroffenen nur schwer in Worte zu fassen oder selbst noch nicht greifbar sind – wie Angst, Wut oder Überforderung. „Malen ist Schichtarbeit“, erklärt Therapeutin Götz. Und ebendas sei auch die Kreativtherapie. So wie ein Bild sich aus mehreren Farbschichten zusammensetzt, überlagern sich auch beim Menschen die Gefühle. Manchmal müsse man sich erstmal durch ein paar Schichten durcharbeiten, bis man auf das stößt, was einen Patienten oder eine Patientin wirklich belastet. Ihre Aufgabe sieht Götz darin, bei diesem Prozess zu unterstützen. Dabei verlässt sie sich auf ihre Intuition: „Ich arbeite viel mit Resonanz, spüre rein, wo Patienten emotional gerade sind und was sie brauchen.“ Manchmal bestünde eine Therapiesitzung nur aus Malen und Schweigen, manchmal wird nur geredet und der Pinsel nicht einmal angerührt. Bei Kevin Schneider war es vor allem die Angst davor, sich Herausforderungen zu stellen, die er mit dem Malen überwinden konnte: „Mutig an Sachen rangehen, diesen Grundgedanken habe ich von der Kreativtherapie mitgenommen.“

Während Kevin Schneider im WTZ malt, wird auf der anderen Straßenseite musiziert. Musiktherapeutin Dr. Susann Kobus dreht mit ihrem Instrumentenwagen ihre Runde durch die Stationen der Kinderklinik und der Neonatologie. Elif erwartet sie bereits. Die Siebenjährige ist zur Behandlung ihrer Epilepsie stationär an der UME. Schnell wird aus dem Tisch im Patientenzimmer ein Miniatur-Tonstudio. Glockenspiel, Klangstäbe, Bongos und Rasseln werden ausgepackt, Kobus legt sich das Keyboard auf die Knie. Dann stimmt sie ein türkisches Kinderlied an, das Elif ihr in einer früheren Sitzung beigebracht hat. Sie singen, improvisieren neue Melodien und Texte, lachen zusammen.

Wut abbauen mit der Vibra Slap

„Die Musik hilft den Kindern zu vergessen, dass sie im Krankenhaus sind. Hier sind sie oft allein, weit weg von Freunden oder Familie und sehr fremdbestimmt von den Klinikabläufen“, sagt Kobus. Die ausgebildete Musiktherapeutin, Musikpädagogin und Konzertpianistin lässt die Kinder daher selbst entscheiden, was sie singen oder welches Instrument sie spielen wollen. „Manche Kinder müssen Wut abbauen, dann benutzen wir zum Beispiel die Vibra Slap – eine Kugel, wo sich per Handschlag ein klapperschlangenartiger Ton erzeugen lässt“, erklärt Kobus. Zur Entspannung und Wahrnehmungsförderung hat sie die Ocean Disc dabei – eine mit Metallkügelchen gefüllte Scheibe, die, wenn man sie bewegt, wie Meeresrauschen klingt. Dass Musik den Kindern hilft, kann Kobus nicht nur aus Erfahrung sagen, sondern auch mit verbesserten medizinischen Werten belegen. Mehrere Studien zur Wirkung von Musiktherapie begleitet sie an der UME. Das Ergebnis: Die Sauerstoffsättigung der Kinder steigt, Herz- und Atemfrequenz sowie Blutdruck sinken. Sie sind nachweislich entspannt.

Auch um solche Forschungsprojekte zu fördern, wurde das ZfkT eingerichtet. Daneben ist es für eine Stärkung der therapeutischen Arbeit vor Ort, eine gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit und die Erschließung von Spenden sowie weiterer Finanzierungswege verantwortlich. Denn die kreativen Therapien werden nicht von den Krankenkassen finanziert. Simone Götz und Susann Kobus sind mit Annelie Ender, Kunsttherapeutin im WPE, bisher die einzigen Therapeutinnen des ZfkT, perspektivisch sollen aber Stellen ausgebaut werden. Kobus freut sich auf das wachsende Arbeitspensum: „Der Bedarf ist riesig und wächst immer weiter. Ich glaube, da wird in den nächsten Jahren noch viel passieren.“

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Das Zentrum für künstlerische Therapien

Unter dem Dach des Zentrums für künstlerische Therapien (ZfkT) sollen nach und nach alle Angebote an künstlerischen Therapien an der UME gebündelt werden. Die Kreativtherapie im Westdeutschen Tumorzentrum (WTZ), die Musiktherapie in der Kinderklinik und die Kunsttherapie im Westdeutschen Protonentherapiezentrum (WPE) sowie weitere onkologische Bereiche sind bereits ins ZfkT integriert, weitere Projekte sollen folgen. Patientinnen und Patienten können am ZfkT nicht nur malen und musizieren, sondern auch anders kreativ werden, zum Beispiel tanzen oder töpfern.

zfkt.de


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