ENTWICKLUNGSHILFE

NICHT QUASSELN, MACHEN


Im Gesundheitssystem in Gambia fehlt es an vielem: Geld, Personal, Medizintechnik. Ein Hattinger Verein unterstützt vor Ort – unter anderem mithilfe der UME.

TEXT: CAROLIN DIEL

FOTOS: PROJEKTHILFE GAMBIA E.V./ ANGELIKA BERNDT

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Zu den Videos der Buschklinik

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Es ist noch früh, aber die Wartehalle der „Buschklinik“ ist bereits gut gefüllt. Viele Patienten sind von weither angereist. Über eine der zwei einzigen Fernstraßen Gambias, die sich fast schnurgerade durch 480 Kilometer karge Landschaft ziehen, eine nördlich des Gambia Flusses, die andere südlich. Diese Wartehalle ist es, die Matthias Ketteler immer wieder den Sinn seiner Arbeit vor Augen führt. „Wenn ich am Ende des Tages sehe, wie sich die Halle leert und wie wir den Menschen hier offenbar helfen konnten, dann bin ich zufrieden“, erklärt der Vorstand des Vereins „Projekthilfe Gambia”.

Ein marodes Gesundheitssystem

Nur 22,16 Dollar pro Kopf investierte die Regierung in Gambia 2018 ins Gesundheitssystem. Damit belegt der westafrikanische Staat im globalen Ranking der Weltbank gerade einmal Platz 181 – von 183. Um den Menschen dort zumindest eine gesundheitliche Grundversorgung zu gewährleisten, betreiben viele Hilfsorganisationen private Gesundheitszentren. So auch der Verein „Projekthilfe Gambia” aus Hattingen. In dem 2.000-Seelen Dorf Jahaly eröffnete er vor 30 Jahren die „Buschklinik“. Weitere Projekte sind seither dazugekommen: ein zweites Gesundheitszentrum, ein Kindergarten, ein Gemeinschaftsgarten, ein Landwirtschaftsprojekt.

Die Buschklinik in Jahaly umfasst drei Behandlungsräume, eine Apotheke und ein Labor. Die Betten und Wände sind überall gemauert und gefliest, so lässt sich alles leicht reinigen und Hygienestandards können besser eingehalten werden.

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Mehr Infos zum Verein

buschklinik.de

Der gelernte Gesundheits- und Krankenpfleger Matthias Ketteler ist Mitgründer sowie Vorstandsmitglied des Vereins: „Wir waren eine Gruppe von sieben Leuten in meiner Ausbildung, die immer wieder darüber diskutiert hat, wie unfair das Leben in manchen Ländern ist.“ Irgendwann wollten sie nicht mehr nur „quasseln“, sondern konkret etwas verändern. Die Gruppe sammelte Geld: 1.070 Mark. Es sollte in das Projekt „Die Bochumer Kinderklinik in Gambia“ fließen. Ketteler und ein Mitstreiter nahmen ihren Jahresurlaub, reisten für vier Wochen nach Gambia und blieben dort „hängen“, wie Ketteler sagt. 1985 wurde aus dem Projekt ein eingetragener Verein, 1991 die Buschklinik eröffnet. Inzwischen besucht er das Land entlang des Gambia Flusses mehrmals im Jahr.

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investierte die Regierung Gambias 2018 pro Kopf in die Gesundheitsversorgung, in den USA waren es

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Einfach, aber effizient

Heute werden in der Buschklinik über 30.000 Patienten jährlich behandelt. 29 Mitarbeiter umfasst das Team, Ärzte gibt es keine. „Das Pflegefachpersonal ist hier sehr diagnostisch ausgebildet. Was wir in Deutschland unter Pflege verstehen – Waschen, Essen reichen, Anziehen – übernehmen in Gambia die Angehörigen“, erklärt Ketteler. Die häufigsten Leiden – Malaria, Durchfall- und Atemwegserkrankungen – können in der Klinik gut behandelt werden, Schwerkranke und Notfall-Patienten werden mit dem eigenen Krankenwagen in ein 40 Kilometer entferntes Krankenhaus verlegt. Die Ausstattung ist einfach, aber ausreichend. Viele medizinische Geräte aus Deutschland bekommen hier ein zweites Leben. Was den europäischen Standards nicht mehr entspricht, kann in Gambia oft noch sinnvoll verwendet werden. Regelmäßig verschifft der Verein daher Sachspenden wie gebrauchte Krankenbetten oder Rollstühle per Container nach Afrika.

Der Verein will nachhaltige Entwicklungshilfe leisten. Mit Partnern vor Ort wird die gesundheitliche Infrastruktur gemeinsam verbessert und Projekte langfristig begleitet. Doch das sei nicht immer einfach, erklärt Ketteler. Gambia ist erst seit 2017 wirklich demokratisch. Bis dahin herrschte der Präsident Yahya Jammeh 22 Jahre lang weitgehend autokratisch. Nach der friedlichen Machtübernahme gelingt es dem Land nur langsam, sich neu aufzubauen. Korruption, fehlende Infrastruktur und eine marode Wirtschaft prägen es nach wie vor. „In unseren Projekten haben wir fähige, engagierte Landsleute, aber insgesamt sind die Organisationsstrukturen in Gambia sehr schlecht “, sagt Ketteler.

Corona verschärt Probleme In der Pandemie zeige sich das besonders deutlich. Ketteler: „Nicht einmal in den staatlichen Kliniken gibt es Hygienekonzepte und erst Anfang April konnten wir nach langem Hin und Her unser Klinikpersonal impfen.“ Bisher ist Jahaly von Corona weitgehend verschont geblieben – andere Teile des Landes hatten weniger Glück. 34 Beatmungsgeräte und 18 Krankenbetten hat die „Projekthilfe Gambia“ im August 2020 dem gambischen Gesundheitsministerium übergeben. Im September kamen noch einmal 29 Betten und umfangreiches medizinisches Zubehör für Beatmungsgeräte dazu – eine Spende der Universitätsmedizin Essen. Der Hattinger Verein hat zusätzlich 23.000 Stoffmasken zum Schutz vor Corona an Gesundheitseinrichtungen im Land verteilt. In der Wartehalle der „Buschklinik“ ist es durch die farbenfrohen Masken noch ein wenig bunter geworden – und Ketteler hat wieder gelernt: auch kleine Schritte helfen.

„In unseren Projekten haben wir fähige, engagierte Landsleute, aber insgesamt sind die Organisationsstrukturen in Gambia sehr schlecht“

Matthias Ketteler, Vorstand „Projekthilfe Gambia“


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