POST-COVID

„GESUND“ IST RELATIV


Etwa zehn Prozent der an Covid-19 Erkrankten kämpfen mit Langzeitfolgen. Die Universitätsmedizin Essen hat eigens für sie eine Sprechstunde eingerichtet.

TEXT: LUTZ ZIMMERMANN

i


WDR 5 Morgenecho über die Post Covid Ambulanz am Universitätsklinikum Essen

wdr.de/mediathek/audio/wdr5/

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Post-Covid oder Long-Covid – auf einen Begriff haben sich die Experten noch nicht geeinigt. Aber dass auch nach einer überstandenen Covid-19-Erkrankung Beschwerden bleiben können, ist längst klar. Etwa 2,5 Millionen Menschen sind mittlerweile von der Viruserkrankung genesen, aber ungefähr zehn Prozent leiden noch immer. Als Hauptbeschwerden gelten mangelnde Belastbarkeit, Müdigkeit und Luftnot, aber auch Herzbeschwerden.

„Es war klar, da kommt was auf uns zu. Nur, was?“

Dass es auch nach überstandener Erkrankung noch Probleme mit dem Virus geben würde, ahnte man in der Universitätsmedizin Essen (UME) schon im Frühjahr letzten Jahres. „Wir hatten es mit einem Krankheitsbild zu tun, das wir nicht kannten. Wir wussten, dass viele Menschen schwer erkranken, aber die Nachwirkungen kannten wir nicht“, berichtet Dr. Margarethe Konik aus der Klinik für Infektiologie. „Insofern war uns klar, da kommt was auf uns zu.“

„Einige fühlen sich stigmatisiert und wollen einfach nur berichten, was sie erleben“

Dr. Margarethe Konik, Klinik für Infektiologie

Nur, was? Das wusste man nicht. Die Entscheidung, eine Sprechstunde eigens für Genesene einzurichten, traf man trotzdem. Die Stadt Essen brachte dann den Stein ins Rollen, als sie wieder gesunde Covid-Patienten anschrieb und auf den Service einer Post-Covid-Ambulanz an der UME aufmerksam machte. Mittlerweile wurden mehrere hundert Patienten in der Ambulanz betreut, die Termine sind auf Monate hinaus vergeben. Schon nach wenigen Wochen zeichneten sich typische Beschwerden und Probleme ab: „Viele Patienten waren verunsichert, weil sie keine Ansprechpartner hatten, einige fühlten sich stigmatisert und wollten einfach berichten, was sie erleben,“ berichtet Dr. Margarethe Konik.

Beschwerden dauern sechs Monate ­­­- und länger

Die Behandlung in der Post-Covid-Ambulanz wird in der Regel durch die behandelnden Hausärzte eingeleitet, sie überweisen die Betroffenen je nach Befund an die Ambulanz der Klinik für Infektiologie. Hier findet dann eine strukturierte Nachsorgeuntersuchung statt. In einem gesamtgesundheitlichen Modell wird neben einer körperlichen und einer Untersuchung verschiedener Organsysteme auch eine psychosomatische Untersuchung angeboten.

i


Lungenkontrolle in der Ruhrlandklinik

Die bisherigen Erfahrungen mit der Infektion durch SARS-CoV2 zeigen: Auch nach klinischer Heilung kann die Funktion verschiedener Organe weiterhin beeinträchtigt sein. Das gilt vor allem für die Lunge, da das Virus in erster Linie die Atemwege befällt. Einiges deutet darauf hin, dass die Lungenfunktion auch ohne schwere Schädigung in der Akutphase langfristig eingeschränkt bleiben kann. Patientinnen und Patienten berichten über verminderte Leistungsfähigkeit, Luftnot unter Belastung oder ein Druckgefühl im Brustkorb. Die Ruhrlandklinik bietet für Patienten, die eine Covid-19-Erkrankung überstanden haben, eine ambulante lungenärztliche Kontrolle an – in Absprache mit dem behandelnden Haus- oder Lungenarzt. Interessenten können sich unter 0201-433-4002/4003 melden.

Mittlerweile ist klar, die Beschwerden dauern bisweilen sechs Monate und länger. Dabei sind die Symptome so vielschichtig, dass sich die Zusammenarbeit im Netzwerk auszahlt: einmal innerhalb des Westdeutschen Zentrums für Infektiologie, das alle infektionsmedizinischen Institute und Kliniken der UME umfasst. Zum zweiten aber auch im Netzwerk mit der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie der LVR-Klinik, der Klinik für Anästhesiologie oder dem Institut für Transfusionsmedizin. Vor allem die Patienten, die wegen posttraumatischer Störungen psychologische Anbindung anfragen, mehren sich. Konik fragt jeden Patienten, der den eigens entwickelten psychologischen Evaluationsbogen ausfüllt, ob ein Gespräch mit Experten gewünscht ist.

Man will einfach nur wissen, ob und wann das weggeht

Was viele Patienten, die in der Ambulanz vorstellig werden, gemeinsam haben: Sie sind aufgrund der Unbekanntheit der Krankheit verunsichert. Zum Beispiel, weil die Einschränkung des Geruchs- und Geschmackssinns weiter anhält. „Diese Menschen wollen einfach nur wissen, ob und wann das weggeht. Nach einem Jahr Beobachtung wissen wir, dass sich solche chronischen Beschwerden bessern, es aber einfach dauern kann. Es braucht Geduld“, sagt Prof. Oliver Witzke, Direktor der Klinik für Infektiologie der UME. „Für viele Patienten ist es schon hilfreich zu hören, dass andere dieselben Beschwerden hatten, sie aber nach einigen Wochen abgeklungen sind.“ Ob solche Beschwerden bei allen Patienten komplett verschwinden, weiß man allerdings noch nicht.

„Für viele ist es schon hilfreich zu hören, dass andere dieselben Beschwerden hatten“

Prof. Oliver Witzke, Direktor der Klinik für Infektiologie

Witzke: „Wir sammeln jede Woche neue Erkenntnisse und werten sie mit unseren Partnern, wie der LVR-Klinik, aus.“ Derzeit gehen die Experten zum Beispiel Hinweisen nach, dass sich das Virus möglicherweise in Darmregionen noch länger hält. Ein anderes wissenschaftliches Projekt widmet sich einem erhöhten Leptinspiegel, der bei einer akuten Infektion eine Rolle spielen könnte (Leptin ist ein Molekül, das das Auftreten von Hungergefühlen hemmt und eine wichtige Rolle bei der Regulierung des Fettstoffwechsels spielt). Zudem sammeln Witzke und sein Team Erkenntnisse zum Immunschutz: „Wir wollen wissen, wie lange er anhält – auch um definieren zu können, wie oft in Zukunft geimpft werden muss, damit der Immunschutz bestehen bleibt.“ Was man mittlerweile weiß: Der Immunschutz korreliert mit dem Lebensalter, Jüngere bilden also in der Regel mehr Abwehrstoffe.

Nur Geduld

Auch erfreuliche Erkenntnisse gibt es nach einem Jahr Post-Covid-Ambulanz. Zum Beispiel leiden offenbar nur wenige Patienten langfristig an organischen Schäden. Diese können in Einzelfällen die Blutgerinnung betreffen, manche Patienten leiden unter Herzbeschwerden, einige unter einer dauerhaften Einschränkung der Lungenfunktion (siehe Textkasten). Aber das sind Ausnahmen. Für die meisten Post-Covid-Patienten gilt: Nur Geduld!


Diesen Artikel teilen

Forschung

Leistungssport