JUGENDMEDIZIN

BLAUMACHEN AUF ÄRZTLICHE ANWEISUNG


Keine Kinder mehr, aber auch noch nicht richtig erwachsen – Jugendliche stehen an einem besonderen Punkt im Leben. Kommt dann eine Krebsdiagnose, stellt das an die Therapien besondere Herausforderungen. Auf der Blauen Station versucht man, dem gerecht zu werden.

TEXT: CAROLIN DIEL

FOTO: JAN LADWIG

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Über die Station

Die Blaue Station gibt es seit 2019. Ein Team von Ärzten und Pflegefachpersonen aus der Pädiatrie und Erwachsenen-Onkologie, der Physio-, Kunst- und Sporttherapie sowie der psychoonkologischen Beratung kümmert sich um durchschnittlich neun Patientinnen und Patienten. In jedem Patientenzimmer befindet sich ein Smart-TV, mit dem zum Beispiel der eigene Netflix-Account oder eine Playstation verknüpft werden kann. Der Multifunktionsraum steht für Gemeinschaftsaktivitäten bereit. Kunst- und Sportangebote werden durch Spenden ermöglicht. Diese können an die Stiftung Universitätsmedizin gerichtet werden, Stichwort „Blaue Station“.

Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Simon Basteck packt seine neue Errungenschaft aus. Eine Tischtennisplatte. 200 Zentimeter lang, 98 Zentimeter breit. Kleiner als die Norm. Gerade so groß, dass sie noch auf dem Gang Platz findet. „Diese Anschaffung war das ganz große Ding für mich“, erklärt der Sporttherapeut stolz. Dass sich der Klinikflur plötzlich in eine kleine Sporthalle verwandelt, ist hier auf der Blauen Station nichts Ungewöhnliches. Denn Basteck und das interdisziplinäre Stationsteam wollen hier so einiges bewusst anders machen als auf der klassischen Krankenhausstation. Warum? Die Blaue Station am WTZ Essen richtet sich an eine ganz besondere Zielgruppe: junge Krebspatientinnen und -patienten zwischen 15 und 25 Jahren.

Bis sie volljährig sind, werden Patientinnen und Patienten üblicherweise auf den Kinderstationen betreut. Danach wechseln sie auf die Normalstationen, wo sie sich die Zimmer häufig mit Menschen älterer Semester teilen. Das hole die Jugendlichen aber nicht ab, betont Univ.-Prof. Dr. Uta Dirksen. „In diesem Alter ist man besonders vulnerabel und es stehen viele richtungsweisende Entscheidungen im Leben an“, so die Pädiaterin, die die Blaue Station initiiert hat und nun gemeinsam mit Prof. Sebastian Bauer aus der Erwachsenen-Onkologie leitet. Da brauche es ein besonderes Setting für Therapien: den Austausch mit Gleichaltrigen, ein altersgerechtes Angebot an Freizeitaktivitäten und eine auf die Sorgen junger Leute zugeschnittene psychosoziale Betreuung. In anderen Ländern hat man das längst erkannt. Vor allem in Großbritannien sind sogenannte AYA-Stationen – AYA für „adolescents and young adults“ – daher weit verbreitet. In Deutschland hingegen bieten nur zwei Kliniken ein solches Angebot. Das Universitätsklinikum Halle und das Universitätsklinikum Essen.

„Viele nutzen die Kunsttherapie bewusst, um zu reflektieren.“

Nina Kaletta

Patientin Katharina Ückerseifer berichtet vom Austausch mit Gleichgesinnten auf der Blauen Station.

Sporttherapeut Simon Basteck erzählt von seiner Arbeit mit jungen Krebserkrankten.

Plötzlich wird es ernst

Durch Sophias Tür klingt noch das Klackern der Tischtennisbälle im Flur, in ihrem Zimmer allerdings ist es fast still. Zu hören ist nur das leise Schaben des Spachtels, mit dem die junge Frau gleichmäßig Farbe auf dem kleinen quadratischen Stück Papier vor ihr verteilt. Mit 14 Jahren wurde bei Sophia ein bösartiger Tumor im Unterschenkel entdeckt. An die Krankheit sei sie damals ganz anders rangegangen, erzählt die heute 22-Jährige: „Ich war naiver, hatte so eine ‚Alles wird gut‘-Einstellung.“ Das änderte sich, als sie vor zwei Monaten die zweite Tumordiagnose bekam. Zwei Tage vor ihrem Ausbildungsende war das, erinnert sich Sophia. Eigentlich hatte sie da große Pläne, wollte in der Heilerziehungspflege arbeiten und in die erste eigene Wohnung ziehen. „Das Leben ist für mich inzwischen ernsthafter geworden. Und plötzlich sind diese Gedanken da, dass es doch auch schief gehen kann und wie es weitergehen soll“, sagt Sophia. Klarheit in diese Gedanken zu bringen, dabei helfen ihr auch Angebote wie eine psychoonkologische Betreuung oder – wie jetzt gerade – Kunsttherapie.

Sophia gegenüber sitzt Nina Kaletta. Die Kunsttherapeutin arbeitet hauptsächlich in der Kinderklinik. Doch mehrmals die Woche ist sie auch auf der Blauen Station unterwegs. Die Arbeit ist hier differenzierter, erklärt die Therapeutin: „Viele jugendliche Patientinnen und Patienten benutzen die Kunsttherapie bewusst, um ein eigenes Thema zu bearbeiten.“ Welche Richtung will ich meinem Leben geben? Wie beeinflusst meine Krankheit meine Berufswahl? Will und kann ich später Familie haben? Solche Fragen sind es, die sowohl in der Kunsttherapie als auch der psychoonkologischen Betreuung auf der Blauen Station im Fokus stehen. Die Antworten sind dabei für jeden Patienten individuell, die Fragen an sich jedoch sind für alle gleich. Die richtigen Einzeltherapien sind daher nur ein Aspekt auf der Blauen Station, noch wichtiger ist ein anderer: der Austausch mit Gleichaltrigen und Gleichgesinnten.

„Mit den Gleichaltrigen kann ich ganz anders reden und mich öffnen“

Katharina Ückerseifer

Prof. Uta Dirksen, Leiterin der Blauen Station, spricht über das besondere Alter der Betroffenen.

Zusammen ist man weniger allein

Ursprünglich sollte dieser auf der Station durch zusätzliche Gruppenangebote befördert werden. Gemeinsame Physiotherapie, Frühstücken oder Pizza backen waren geplant. Doch die Pandemie durchkreuzte die Pläne. Im Mufu genannten Multifunktionsraum findet gerade das statt, was an Gruppenaktivitäten unter Corona-Bedingungen gerade noch so möglich ist: eine Kunsttherapiesitzung zu dritt. Patientin Katharina genießt diese gemeinsamen Momente. Nach ihrer OP lag sie mehrere Tage auf Station im Operativen Zentrum. „Auf der Normalstation ist es oftmals schwieriger direkt Kontakte zu knüpfen, die über Smalltalk hinausgehen“, so die 25-Jährige. Aber als sie dann für ihre Chemotherapie auf die Blaue Station kommt, findet sie sofort Anschluss. „Ich fühle ich mich hier nicht allein. Mit den Gleichaltrigen kann ich ganz anders reden und mich anders öffnen“, sagt sie. Dass wegen der Pandemie Gruppenaktivitäten nur begrenzt stattfinden können, macht ihr nicht viel aus. Denn die Patientinnen und Patienten finden auch ohne fremde Hilfe zueinander, zum Beispiel über eine WhatsApp-Gruppe, die die Patienten initiiert haben.

Zurück in der improvisierten Sporthalle im Klinikflur. Hier hat Sporttherapeut Simon Basteck inzwischen ein Balanceboard aufgebaut. Darauf steht Patientin Malea und versucht, das Gleichgewicht zu halten, während Basteck ihr einen Medizinball zuwirft. Kräftigungsübungen wie diese helfen den Patientinnen und Patienten spielerisch, schnell wieder fit zu werden, erklärt Basteck. Seine Sporteinheiten baut er dabei spontan in den Tagesablauf der Patienten ein. Genauso wichtig wie mit gezieltem Training die Lebensqualität der jungen Patienten wiederherzustellen und zu erhalten, sei aber, dass sie überhaupt aus dem Bett und in Bewegung kommen, sagt er. Denn zum einen mindert Sporttherapie erwiesenermaßen die Begleiterscheinungen bei Therapien, zum anderen ermöglicht sie aber vor allem auch einen Ausbruch aus dem Klinikalltag. „Es ist auch mal schön, wenn jemand nicht wegen Medikamenten oder Untersuchungen an die Tür klopft, sondern einfach um zu fragen: ‚Hast du Lust, was zu spielen?‘“, so der Therapeut.

Die Patientinnen und Patienten auf andere Gedanken bringen, auch das ist Ziel der Blauen Station. Denn eine Krankenhausstation kann – und sollte – mehr bieten als nur Bettruhe, Untersuchungen und Therapien. Hier zwischen Ping-Pong-Matches, Pinselstrichen und Pizzabestellungen wird klar, sie kann auch ein Ort des Miteinanders, der Kreativität und der Selbstfindung sein. „Man könnte sagen, das Krankenhaus wird hier umkonnotiert“, beschreibt es Patientin Katharina, „die Chemo, das lief dann irgendwie nebenbei.“


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